Am Rande eines Vergewaltigungsprozesses

Gericht und Verteidigerin arbeiten sich an dem Vater und Großvater der beiden Angeklagten ab, die angeklagt sind, gemeinsam eine Frau monatelang vergewaltigt haben. Über das Opfer weiß der Alte nichts Gutes zu berichten. Aber das was er sagt, weiß er nur von seinem angeklagten Sohn. Nur einmal hat er seinen Enkel mit der Frau morgens aus dem Haus kommen sehen und sich seine Vorstellungen dazu gemacht. Die Frau schleiche sich an alleinstehende Männer heran. Er denke nicht dreidimensional. Der Vorsitzende: „Sondern eindimensional“ (man denkt an Herbert Marcuses „Der eindimensionale Mensch“) und hört den Vorsitzenden fragen: „Warum wird mir denn dieser Zeuge präsentiert?“
Die Verteidigerin des Sohnes fragt weiter: „Darf ich mal mit einfachen Worten fragen…?“ Vorsitzenden: „Um Gottes Willen!“
Schließlich, nach quälend langer unergiebiger Befragung: „Aus den Angaben des Zeugen aus moralischer Verquerheit leiten wir nichts her.“
Verteidigerin: „Tja, da weiß ich mir auch nicht mehr zu helfen.“
Anschließend läßt sie die Sitzung unterbrechen, um die Erforderlichkeit eines „Unaufschiebbaren“ zu prüfen, der dann aber nicht gestellt wird.
Später nach der Vernehmung des Opfers, die, weinend und kaum zum Sprechen in der Lage, entsetzliche Details der Taten schildert, sagt sie: „Man ist ein bißchen hilflos als Verteidigerin,“ was sie nicht hindert, weiter zu fragen, fragen, fragen.
Irgendwann mußte der Vorsitzende der Verteidigerin die Frage stellen: „Glauben Sie, durch weitere Fragen machen Sie es besser?“ Das glaubte sie wohl nicht, denn von nun an schwieg sie.

Am nächsten Verhandlungstag wird ein ermittelnder Polizeibeamter vernommen. Weil der Vater des Opfers (O-Ton Verteidigerin: „Opfer ist man erst nach rechtskräftiger Verurteilung des Täters!“) auch Polizist ist, wenn auch ganz woanders, fragt sie: „Gab es irgendwie eine dienstliche Anweisung…?“ Danach einige Schweigesekunden, in denen man auf die Vervollständigung des Satzes wartete. Als dies vergebens war, ergänzt der Vorsitzende: „Gab es eine Anweisung, daß Sie der Geschädigten glauben müssen?“ So war die Frage wohl auch gemeint, denn die Verteidigerin korrigiert den Vorschlag nicht. Der Zeuge antwortet mit „nein“.

An einem weiteren Verhandöungstag kommentierte die Verteidigerin mal wieder die Aussage einer Zeugin während laufender Vernehmung. Der Nebenklägervertreter hatte den Kommentar nicht richtig gehört und fragte daher nach. Derweil rumorte bereits der Vorsitzende, der sich die Kommentare schon mehrmals verbeten hatte, was die Verteidigerin veranlaßte zu sagen: sie habe doch nur die Frage „des großen heiligen Herrn Kollegen“ beantworten wollen. Gemeint war der Nebenklägervertreter, zu dem der Vorsitzende später meinte, „sowas würde ich hinnehmen“.
Die andere Verteidigerin fragte die Tochter der Gechädigten nach dem „Männertyp“, auf den ihre Mutter so stehe und ob ihr Mandant, einer der Vergewaltiger, auch dazu gehöre. Die Zeugin bezeichnete die Frage als „geschmacklos“ – niemand widersprach – und ließ die Frage unbeantwortet.

An einem weiteren Verhandlungstag, schrieb und empfing die Verteidigerin während des schon vor Monaten erstmals gehaltenen Schlussvortrags des Nebenklägervertreters „sms“, wofür sie sich rüffeln lassen mußte. Zuvor schon war ihr vom Vorsitzenden „keine gute Kinderstube“ bescheinigt worden, weil sie eine Protokollführerin als „arrogant“ beschimpft hatte, die ihr, „als Rechtsanwältin“ nicht die Tür aufgehalten hatte. Auch sonst fiel sie unangenehm auf. Einen Zeugen mit „afrikanischen Migrationshintergrund“ nannte sie gegenüber der anderen Verteidigerin „Schoko“.
Klasse war auch ihre Anregung, einen der Angeklagten zu Angaben über Wahrnehmungen bezüglich der Geschädigten „vereidigen“ zu lassen. Insoweit sei er doch für eine „logische Sekunde“ Zeuge gewesen.

Ein paar Monate später kam ein von der Verteidigung präsentierter Pizzabäcker und-lieferant. Der sollte bestätigen, wie harmonisch das Verhältnis von Tätern und Opfer war. War ihm aufgefallen beim Anliefern einer Pizza. Er erinnere sich. Dick sei die Frau gewesen und hätte auf einem Sofa gesessen. Habe sie mit Handschlag begrüßt. Sei ihm als die Freundin des angeklagten Vaters vorgestellt worden. Vorhin auf dem Gerichtsflur sei sie ihm entgegen gekommen. Habe sie wieder mit Handshake begrüßt.
Blöd nur, daß das Opfer garnicht im Gericht anwesend war. Nur eine Ärztin war noch vernommen worden. Die war allerdings mit dem Opfer nicht zu verwechseln. Eine Verteidigerin: die beiden Zeuginnen haben immerhin eine recht unvorteilhafte Figur gemeinsam. Der Zeuge wurde entlassen.

Am nächsten Tag meinte die Verteidigerin sie „reicht jetzt mal ein Glaubwürdigkeitsgutachten zur Akte“. Da war die Beweisaufnahme schon geschlossen. Ihre Kollegin beantragte dann in ihrem Schlussvortrag, die Sachverständige Dr. Ziegert aus München dazu zu hören. Der Vorsitzende fragte, ob als Sachverständige oder als Zeugin. Antwort: als Zeugin. Er fragte weiter, ob das als Beweisantrag oder als Hilfbeweisantrag behandelt werden solle. Antwort:  Hilfsbeweisantrag für den Fall der Verurteilung.

Heute nun ist Urteilsverkündung um 9.00 Uhr.

4 Gedanken zu „Am Rande eines Vergewaltigungsprozesses

  1. Marc

    Die Verteidigerin habe ich nun in zwei Prozessen erlebt. Mandanten, die lügen und denen das Gericht nicht glaubt, sind das eine, aber handwerklich zweifelhafte Arbeit abliefern, halte ich für vermeidbar. Ich denke da noch den letzten Beweisantrag von RA H., den sie sich kopiert und mit ihrem Kopf versehen hatte, obwohl es gereicht hätte sich dem einfach anzuschließen.

    Witzigerweise hatte ich an dem Tag, an dem es den Rüffel wegen der Protokollführerin gab, auch gedacht, dass das nicht der Tag der Protokollführerin sei, weil sie nicht gegrüßt hatte.

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