Archiv für den Monat: Mai 2010

DJT zur Präklusion im Beweisantragsrecht der StPO

Zum Meinungsstreit im BGH, dieses Thema betreffend, hatte ich vom Frühjahrssymposium berichtet. Der Gutachter des DJT zum Thema: „Erfordert das Beschleunigungsgebot eine Umgestaltung des Strafverfahrens?“, Prof. Kudlich (Erlangen) hat sich in der Beilage zur NJW vom 27.05.10 (S. 89) nun hierzu geäussert und die Rechtsprechung des 1. Strafsenats zur Fristsetzung im Beweisantragsrecht (insbes. BGHSt 52, 355, NJW 2009, 605) als mit § 246 I StPO nicht vereinbar abgelehnt. Es scheint, als wachse der Widerstand gegen die Fristenlösung. Nacks Einschätzung, die Sache wäre nun mal jetzt so entschieden, die Verteidiger hätten das halt hinzunehmen und er hätte auch „basta“ sagen können, war wohl doch nicht das letzte Wort in dieser Sache.

Zum Kuhandel

Ein Berliner Kollege berichtet von einem Fahrerfluchtfall, der mich an den kaiserslauterner-Nötigungsfall erinnert, über den ich am 26.04.10 berichtet hatte. Über die „knappe Ressource Recht“ wird überall geredet (z.B. Clemens Basdorf auf der Feier zum 30jährigen Bestehen des „Strafverteidigers“ laut FAZ vom 20.05.10).  Aber jetzt ist ja eh alles egal, seit der Handel um das Recht den Segen des Gesetzgebers hat (siehe hierzu nur Schünemann, Strafverfahrensrecht 17, 7). Klar sind wir hier nicht im Bereich der Urteilsabsprachen sondern des Opportunitätsprinzips. Aber mit der Ausstrahlung des § 257c StPO wird Detlef Deal aus Mauschelhausen (Weider) hier wie da bisher ganz ungeahnte Triumphe feiern. Mal ist’s günstig für den Angeklagten, mal nicht. Wen schert’s? Und die Fristenlösung bei Beweisanträgen wird ihr übriges tun.

Die Prädikatsjuristen des Landgerichts Wiesbaden

Die heutige FAZ (S. 57) in einem Artikel über das Landgericht Wiesbaden: „An der Qualität der Arbeit gab es anscheinend nichts auszusetzen. Wie schon 2008, so hat der Bundegerichtshof auch 2009 die angefochtenen Urteile der Großen Strafkammern bestätigt. (Jetzt kommts:) Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Für eine Lebensstellung im richterlichen Dienst kommen nur Absolventen in Frage, die das erste und zweite Staatsexamen mit einem Prädikat abgeschlossen haben.“

O mein Gott. Infalliblilität von „dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ bestätigt. Einen solchen Bullshit-Journalismus in der FAZ, wenn auch nur im Regionalteil. Als Heidi Müller-Gerbes noch aus Wiesbaden schrieb, blieb man von dergleichen verschont.

Kein Beweisverwertungsverbot bei Messung mit Laserpistole

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 5.3.10 (NZV 2010, 262) noch einmal seine Auffassung aus dem Beschluss vom 9.2.10 (NZV 2010, 263) bekräftigt, wonach ein Beweisverwertungsverbot in Betracht kommt, wenn eine verdachtsunabhängige Bildaufzeichnung (Vibram, VKS) erfolgt. Dort hatte das OLG ausgeführt, daß die bezeichneten Verfahren dem Beschluss des BVerfG vom 11.08.09 (NJW 2009, 3293) zuwider laufen und der Gesetzgeber „gefordert (ist), die … gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu schaffen.“
Bei der Entscheidung vom 5.3.10 ging es hingegen um eine Messung mit einer sogn. Laserpistole (Riegl FG 21-P), bei der gerade keine verdachtsunabhängige Speicherung erfolgt sondern gezielt anvisiert und die kurzzeitige Speicherung sogleich automatisch wieder gelöscht wird.

Siehe hierzu auch OLG Brandenburg.

Wunder gibt es immer wieder

Im Sommer vorigen Jahres kam ein junger Mann zu mir, den es von Norddeutschland nach Südhessen „wegen der Arbeit“ verschlagen hatte. Er komme in einer Verkehrssache. Eigentlich habe er schon einen Anwalt in Norddeutschland beauftragt gehabt, dem sei die Sache aber „zu heiß“ zumal es ein Freund seines Vaters sei.
Gut war, daß er keine Eintragungen im VZR hatte. Schlecht war, daß ihm in den Monaten März bis Juni gleich vier Fälle vorgeworfen wurden, nämlich zwei Nötigungen, eine weitere Nötigung in Verbindung mit Straßenverkehrsgefährdung und eine Abstands-OWi. Letztere schlug mit vier Punkten, die Nötigungen mit jeweils fünf und die Straßenverkehrsgefährdung mit sieben Punkten zu Buche, insgesamt also 21 Punkte. Oder besser: hätte zu Buche geschlagen. Das hätte die Fahrerlaubnis gekostet. Weiterlesen

Für Schwerkriminelle oder Raser: § 100h StPO omnibus!

Der ESO ES 3.0 ist ein Einseitensensormessgerät, das die Geschwindigkeit mittels Lichtschranke ermittelt. Im entschiedenen Fall hatte der Meßbeamte das Gerät in einer 80er-Zone so eingestellt, daß alle beblitzt wurden, die schneller als 92 fuhren. Das hat das OLG Brandenburg gebilligt (NJW 2010, 1471). Rechtsgrundlage sei § 100h I Nr. 1 StPO. Im Gegensatz zu dessen Nr. 2 sei das Anfertigen von Bildaufnahmen nicht an eine – hier unstr. nicht vorliegende – Observation gebunden, die ihrerseits Straftaten von erheblicher Bedeutung voraussetzt.
Das ist bereits im Ansatz falsch, weil sich seinem Wortlaut nach der gesamte § 100h StPO mit Maßnahmen zu Observationszwecken befaßt (Meyer-Goßner, 100h, Rn. 1). Elegant auch, wie das OLG die Hürde nimmt, wonach nur gegen Beschuldigte in dieser Weise vorgegangen werden dürfe. „Der Tatverdacht besteht … bereits ab dem Zeitpunkt, in dem das Messgerät die Geschwindigkeitsüberschreitung registriert.“
Bravo! Das Messgerät also macht den Tatverdacht. Alles automatisch. Am besten machen wir auch den Rest dann auch gleich ohne Beteiligung von menschlichen Trägern staatlicher Strafgewalt und ziehen den so Gemessenen mitsamt seinem Fahrzeug mittels Maschinenkraft aus dem Verkehr und verweisen ihn in den Orkus, wo er seine Bußgeldschuld abarbeiten und das Fahrverbot verbüßen kann. Alles automatisch.

Sicherheitsverwahrung menschenrechtswidrig

Zur Entscheidung der Großen Kammer des EGMR vom 11.05.2010, mit der das deutsche Modell der Verwahrung ohne Schuld zum Zweck des Schutzes der Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Straftätern für menschenrechtswidrig erklärt worden ist:

Süddeutsche Zeitung

Neues vom Landgericht Gera. Mir steht die Gosche offen!

Ärger mit Kostenbeamten sind Alltag und daher eigentlich nicht berichtenswert. Der vorliegende Fall geht jedoch über den normalen Ärger, der dadurch hervorgerufen wird, dass gelegentlich der Eindruck entsteht, der Beamte werde für die Nichtauszahlung berechtigter Ansprüche provisioniert, weit hinaus.

Beantragt waren Pflichtverteidigergebühren für den 11.3.2010. Tatsächlich hatte die Hauptverhandlung am 12.3.2010 stattgefunden. Dies war offensichtlich aus den Sitzungsprotokollen. Außerdem hatte der Verteidiger auch die Erstattung von Parkgebühren für den 12.3.2010 beantragt und diese waren ihm auch erstattet worden.

Die Rechtspflegerin hat die Pflichtverteidigergebühren für den 11.3.2010 mit der lapidaren Begründung abgesetzt, an diesem Tage habe keine Hauptverhandlung stattgefunden. Weiterlesen

Schattendasein der anwaltlichen Grundpflichten

in Ergänzung zu meinem Beitrag von gestern:

Bemerkenswert ist ja auch, dass die „Grundpflichten des Rechtsanwalts „, namentlich die Freiheit von Bindungen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden können, die Verschwiegenheitspflicht, das Sachlichkeitsgebot, das Verbot des Vertretens widerstreitender Interessen, besondere Vermögens- betreuungspflichten und die Fortbildungsverpflichtung in der Bundesrechtsanwaltsordnung irgendwo mitten drin und dann auch noch in einem „klein-A- Paragraphen“ normiert sind. Hinsichtlich ihrer Verordnung führen Sie also ein echtes Schattendasein.

Dazu passt, dass sich die Juristenausbildung den Luxus erlaubt, die „Befähigung zum Richteramt “ vermitteln zu wollen, obwohl die meisten Absolventen später Anwalt werden.
Von den anwaltlichen Berufspflichten habe ich zweimal in meiner Ausbildung gehört. Einmal 1985 in der Vorlesung des Kollegen Rainer Hamm zur Strafverteidigung an der Frankfurter Universität; das andere Mal im Referendariat 1993 im so genannten Kompaktkurs Anwalts- und Notartätigkeit in Bielefeld. Beide Veranstaltungen waren keine Pflicht und wurden nur von Nachwuchsjuristen besucht, die sowieso die Absicht hatten, später Anwalt zu werden. Deren Anzahl verhielt sich umgekehrt proportional zur Anzahl derer, die eigentlich Richter oder Staatsanwalt werden wollten, dann aber Anwalt werden mussten.