Archiv für den Monat: März 2009

Keine Umgehung des Zustimmungserfordernisses des Angeklagten i.S.d. § 266 StPO durch Verfahrensverbindung

Das Hauptverfahren kann auf neue Vorwürfe nur im Rahmen des § 266 StPO, also im Wege einer Nachtragsanklage, erweitert werden. Dies setzt aber die Zustimmung des Angeklagten voraus. Im vom BGH entschiedenen Fall lag diese nicht vor, weswegen ausserhalb des anhängigen Verfahrens Anklage erhoben und diese mit dem laufenden Verfahren vom Gericht verbunden wurde. Der BGH hat entschieden, daß dies eine Umgehung des Zustimmungserfordernisses des Angeklagten darstellt, der auch der Verbindung ausdrücklich widersprochen hatte. Die Verbindung war unzulässig, der Schuldspruch bezüglich der hinzuverbundenen Vorwürfe wurde, ebenso wie der Gesamtstrafenausspruch, aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (BGH 4 StR 318/08).

Ich bin zwei Anwälte

Zunächst hatte ich eine Ladung zu einem Gerichtstermin am Amtsgericht um 8.30 Uhr in Mannheim erhalten. Ein paar Tage später erhielt ich Ladungen zu zwei Gerichtsterminen am Amtsgericht Bensheim um 8.45 und 9.45 Uhr für den selben Tag. Weil diese Ladungen später waren, beantragte ich in Bensheim wegen meiner Verhinderung die Verlegung des Termins. Dies lehnte der Richter mit der Begründung ab, er hätte Zeugen und Sachverständige geladen und bei ihm gehe es um zwei Termine. Ich möge in Mannheim Verlegung beantragen. Dies tat ich, wobei ich mir die Begründung des Bensheimer Richters zu Eigen machte. Der Mannheimer Richter lehnte die Verlegung ab, weil er früher geladen habe und der Bensheimer Richter halt in Zukunft Termine mit dem Anwalt absprechen möge, wenn er Zeugen und Sachverständige läd. Unter Bezugnahme hierauf habe ich nun wiederum Verlegung in Bensheim beantragt. Bin gespannt, wie das Spiel ausgeht. Die Termine sind am Freitag. Wahrscheinlich werde ich es ebenso zu ermöglichen haben, gleichzeitig in Bensheim und Mannheim aufzutreten, wie es von meinem ungeborenen Kind erwartet werden darf, mit seiner Geburt auf die „Terminslage beim Schöffengericht Bensheim“ Rücksicht zu nehmen (siehe meinen Beitrag vom 17.02.09).
Man fühlt sich in die Gerichtsgebäude Berlins versetzt, die Tucholsky in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der „Weltbühne“ beschrieben hat. Es scheint sich nichts verändert zu haben.

Fahrlässige Tötung durch die Eltern des Amokläufers?

Was zunächst etwas abenteuerlich klingt, hängt letztlich nur davon ab, ob die Tat des Sohnes für den Vater vorausehbar war. Das ist Tatfrage und hier wird man sehen. Rechtlich ist die Grenze der Voraussehbarkeit weit gezogen. Danach hat das Oberlandesgericht Köln (zitiert nach Fischer, StGB, § 222, Rn 27) entschieden, daß schon derjenige, der sein Fahrzeug ungesichert auf der Straße stehen läßt, damit rechnen müsse, daß ein Unbefugter damit fährt und damit einen tödlichen Unfall verursacht.

EU-Fahrerlaubnis ist tot

Der Erwerb einer Fahrerlaubnis im EU-Ausland war durch die EuGH-Entscheidungen „Halbritter“ und „Kapper“ auch zur Umgehung einer sogn. „MPU“ in Deutschland möglich, wenn die Sperrfrist für die Wiedererteilung abgelaufen und das Wohnsitzerfordernis eingehalten war.
Seit dem 19.01.2009 ist das vorbei. Durch die 3. EU-Führerscheinrichtlinie und § 28 V FeV gibt es ein gegenseitiges Anerkennungsverbot von Fahrerlaubnissen nach der Entziehung. Die deutsche Fahrerlaubnisbehörde kann allerdings das Recht erteilen, von einer ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, wenn die Gründe für die Entziehung nicht mehr bestehen. Ist Wiedererteilungsvoraussetzung in Deutschland aber ein positives MPU-Gutachten, wird sie dieses Recht auch nicht erteilen. Daher ist der EU-Führerschein und der damit verbundene Tourismus seit dem 19.01.2009 tot. Wer seither von einem solchen ausländischen Führerschein Gebrauch macht (und sich nicht das Recht ihn zu führen von der deutschen Fahrerlaubnisbehörde erteilen läßt) macht sich strafbar (s.a. Mosbacher, Gräfe; Führerscheintourismus; NJW 2009, 801).

Richter legt Berufung gegen eigenes Urteil nahe

Der Angeklagte hatte in der Kneipe gesoffen und irgendwann war das Geld alle. Er wollte aber noch weiter saufen. Also ging er in seine Bude, wo er zwar kein Geld hatte, aber ein Kumpel seine Sachen eingestellt hatte, in der Hoffnung, in dessen Sachen Geld zu finden. Dort fand er aber nur eine ungeladene Luftdruckpistole. Spontan entschied er, damit die benachbarte Tankstelle zu überfallen, was er – unmaskiert – auch tat und dabei 600 € erbeutete. Die Kassiererin nahm ihn erst gar nicht für voll und fragte ihn ungläubig, ob er das ernst meine. Weiterlesen

Jörg Tauss, Unschuldsvermutung und öffentliche „Hinrichtung“

In Bund und Ländern bestehen einheitlich die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV), die „vornehmlich für den Staatsanwalt betimmt“ sind. Dort heißt es in Nr. 4a: „Die Staatsanwaltschaft vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann.“ Es ist auch deutlich zu machen, „daß gegen den Beschuldigten lediglich der Verdacht einer Straftat besteht.“
Denn das moderne Strafverfahren respektiert die Würde auch eines Täters, somit erst recht eines Verdächtigen, es bezweckt erforderlichenfalls seine Resozialisierung und nicht umgekehrt seine totale soziale Ächtung und personale Zerstörung.
Im Falle von Jörg Tauss, dem MdB und baden-württembergischen SPD-Generalsekretär, haben auf Unterrichtung der Karlsruher Staatsanwaltschaft alle Abendnachrichten mit vollem Namen und Bild über den Verdacht des Besitzes kinderpornographischen Bildmaterials berichtet. Kurz nach Beginn der Durchsuchung war das Privatfernsehen zur Stelle gewesen. Tauss mußte alle Ämter aufgeben.
Von den Strafgerichten wird in solchen Fällen die Wirkung der öffentlichen „Hinrichtung“ beklagt und die Strafe gemildert. Das weiß ein Staatsanwalt. Was also bezweckt er?
Vernichtung eines Beschuldigen ist nicht und darf nicht Zweck eines Strafverfahrens sein. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe betreibt das Gegenteil, wohl wissend, daß sich kaum jemand vor Tauss stellen wird, „bei diesen Vorwürfen“.

BVerfG: keine Entkleidung und Intimbereichsuntersuchung bei U-Haft

Schon wieder Darmstadt

 

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

2 StR 478/08

 

 

vom

13. Februar 2009

in der Strafsache

gegen

1.

2.

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 13. Februar 2009 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen: Weiterlesen

Wolfgang Thierse, Landesarbeitsgericht und Berliner Anwaltverein

Wenn der Vizepräsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse ein Urteil eines Landesarbeitsgerichtes als „barbarisch“ und „asozial“ kritisiert und daraufhin vom Berliner Anwaltverein zum Rücktritt aufgefordert wird, dann verkennen dessen Vereinsvordere erstens, daß staatliche Gewaltenteilung gerade nicht bedeutet, daß die eine Gewalt tatenlos dabei zusehen muß, wie die andere ihr Unwesen treibt, zweitens, daß Meinungsfreiheit kein Privileg lediglich derer ist, an deren Meinung sowieso keiner interessiert ist, weil sie sich nicht in irgendwelchen Leitungsfunktionen befinden, und drittens, daß das dieser Rücktrittsforderung wohl zugrunde liegende Immunitäts- und Infallibilitätsdogma zugunsten der Justiz nur belegt, daß es der kritisierten Entscheidung wohl an innerer Uberzeugungskraft gefehlt hat. Wer als Politiker Urteile kritisiert, muß zurücktreten, oder wie? Leben die Rechtspflegeorgane, die dergleichen fordern, eigentlich in einem Raumschiff ohne Kontakt zur Erde?
Eigentlich müßte jetzt jemand den Rücktritt derer fordern, die Thierses Rücktritt gefordert haben, wenn nicht schon die erste Rücktrittsforderung so albern, unmotiviert und schlicht publizitätsbedacht, also nicht ernst zu nehmen, gewesen wäre.

Rechtswidriger „Vergleich“ im Strafprozeß: Raub statt Mord

Der Bundesgerichtshof hatte am 05.12.2008 über eine unzulässige Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Darmstadt (Schwurgericht) zu entscheiden und hat obiter dicto angemerkt (2 StR 495/08): 

„Anklage und Eröffnungsbeschluss legten den Angeklagten einen gemeinschaftlich begangenen Mord zur Last. Das Landgericht hat in der  Hauptverhandlung Anlass gesehen, einen rechtlichen Hinweis auf die Möglichkeit des Vorliegens weiterer Mordmerkmale zu erteilen.

Nach den Feststellungen der Urteilsgründe war den Angeklagten bewusst, dass das von ihnen zur Durchführung des Raubs gefesselte und geknebelte Tatopfer ersticken konnte; „dies war ihnen aber gleichgültig, da sie sich einen zeitlichen Vorsprung verschaffen wollten“ (UA S. 7). 

Die Verurteilung nur wegen Raubs mit Todesfolge, bei fahrlässiger Verursachung des Todes, ist unverständlich und offensichtlich rechtsfehlerhaft. Sie beruht auf einer Verfahrensabsprache, deren Inhalt der Vorsitzende nach dem Protokoll der Hauptverhandlung wie folgt dargestellt hat:

„Vor Beginn der Hauptverhandlung fand ein Gespräch über eine vorzeitige Beendigung des Verfahrens statt.

Dies mag überraschen. Gleichwohl war dies bereits zu Beginn des Verfahrens angezeigt, weil die Aktenlage eine solche Vorgehensweise aufdrängte, dies im Hinblick auf die geständigen Einlassungen beider Angeklagter.

Unter Berücksichtigung dessen konnte zwischen allen Verfahrensbeteiligten und der Kammer die gebotene zügige Beendigung des Verfahrens ins Auge gefasst werden im Falle einer Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe gegen beide Angeklagte in Höhe von höchstens 12 Jahren und einer Unterbringung nach § 64 StGB, dies unter der Voraussetzung, dass sich beide Angeklagte des mittäterschaftlich begangenen Raubes mit Todesfolge gem. § 249, 250, 251 StGB schuldig gemacht haben.“

Im Anschluss an diese Erklärung des Vorsitzenden ließen die Angeklagten erklären:

„Wir sind mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden. Das Urteil ist schmerzhaft für uns, aber als Sühne für das von uns begangene Unrecht in dieser Höhe angemessen.“

Der Schuldspruch und der Rechtsfolgenausspruch von zwölf Jahren Freiheitsstrafe entsprachen den übereinstimmenden Anträgen von Staatsanwaltschaft, Verteidigern und Nebenklägervertreter.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Absprache, die auf einen „Vergleich“ über den Schuldspruch gerichtet ist, rechtswidrig und unzulässig (vgl. BGHSt 43, 195, 204; 50, 40, 50; BGH, Urt. vom 16. Juni 2005 – 3 StR 338/04, bei Becker NStZ-RR 2007, 2). Weiterlesen