Archiv für den Monat: August 2009

OLG Hamm vom 18.08.2009 (3 Ss 293/09)

Die zunehmende Bedeutung der Verwerungsverbote, mit der sich schon der Artikel vom 20.08.09 beschäftigte, ist auch Gegenstand der Entscheidung des OLG Hamm:

„Unter Berücksichtigung des besonderen Gewichts des verfassungsrechtlich angeordneten Richtervorbehalts bei Wohnungsdurchsuchungen führt dessen gröbliche Verletzung durch die Justizverwaltung zu einem Verwertungsverbot der bei einer Durchsuchungsmaßnahme, die unter Verletzung der Zuständigkeitsregelungen der StPO durchgeführt worden ist.“

(aus Burhoff in LexisNexis, www.strafrecht-online.de),

„Insbesondere unter Berücksichtigung des besonderen Gewichts des verfassungsrechtlich angeordneten Richtervorbehalts bei Wohnungsdurchsuchungen führt dessen gröbliche Verletzung durch die Justizverwaltung zu einem Verwertungsverbot der bei einer Durchsuchungsmaßnahme, die unter Verletzung der Zuständigkeitsregelungen der StPO durchgeführt worden ist.“

Das Urteil befasst sich eigentlich mit der Durchsuchung, hat allerdings, worauf  das OLG Hamm ausdrücklich hinweist, auch Auswirkungen auf nächtliche Blutentnahmen. Denn der Richtervorbehalt ist nicht teilbar.

Der Kollege Dr. David Herrmann meint in der Mailingliste der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht am Freitag unter Berufung auf Burhoff, daß jetzt die Diskussion jetzt einsetzen wird. „Die Aufschreie werden nach diesem Urteil lauter werden. Man wird den Richtervorbehalt nach Möglichkeit für “geringere Eingriffe” abschaffen wollen.“

Täteranwalt/Opferanwalt

Immer wieder Unverständnis begegnet man als Anwalt, der sowohl als Verteidiger als auch als Nebenklägervertreter auftritt. Warum eigentlich? Überhöhen die Kollegen ihre Rolle als Nur-Verteidiger oder Nur-Nebenklägervertreter nicht ein wenig? Sind die Rollen tatsächlich so unterschiedlich oder haben sie nicht in erster Linie eines gemein, was generell die Anwaltstätigkeit kennzeichnet: die Vertretung der Mandanteninteressen?!
Vor ein paar Jahren hat mich der damalige Vorsitzende der Jugendschutzkammer in Darmstadt einmal auf die für ihn nicht verständliche Vereinbarkeit von Opfervertretung einerseits und Täterverteidigung andererseits angesprochen. Er ist, nach Jahrzehnten als Richter, nach seiner Pensionierung Anwalt geworden. Selbst das geht. Verteidiger und Opferanwalt, geht auch, gut sogar.

Geschwindigkeitsmessung auf Erlaßgrundlage

Das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 941/08) hat die Entscheidungen des Amtsgerichts Güstow und des OLG Rostock kassiert, die nichts dagegen einzuwenden hatten, daß eine eigentlich zur Abstandsmessung eingerichtete Videomessstelle, mit der fortlaufend alle vorbeifahrenden Fahrzeuge gefilmt wurden, auch zur Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung benutzt wurde, obwohl eine gesetzliche Grundlage fehlte und statt dessen aufgrund eines zur Abstandmessung ergangenen ministeriellen Erlasses die Messungen erfolgten.
Dies sei ein Verstoß gegen Art. 3 GG in der Ausprägung des Willkürverbotes, weil die Messung gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vertoße, in welches nur aufgrund gesetzlicher Grundlage und nicht bloß aufgrund eines Erlasses eingegriffen werden dürfe. http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20090811_2bvr094108.html

Polizeiliche Belehrungsmängel, staatsanwaltliche Aufgaben und Verwertungsverbote

Der BGH weist in seiner jetzt in der NJW (2009, 2612) veröffentlichten Entscheidung auf die Leitungsfunktion der Staatsanwaltschaft bei der Ermittlung zumindest von Tötungsdelikten dahingehend hin, daß dort nicht ausreichend ist, lediglich Richtung und Umfang der von der Polizei vorzunehmenden Ermittlungen ganz allgemein vorzugeben, vielmehr, so im entschiedenen Fall, etwa in späteren Vernehmungen eines Tatverdächtigen, der zunächst als Zeuge vernommen worden war, auf dessen qualifizierte (BGH-NJW 2009, 1427) Belehrung gem. §§ 136 I 2, 163a IV StPO hinzuwirken.
Der BGH weist auf die „immer größer werdende praktische Bedeutung der Beweisverwertungsverbote“ und die Gesamtverantwortung der StA für die ordnungsgemäße, faire und rechtsstaatliche Durchführung des Verfahrens hin. 
Angesichts dessen wird in „Kapitalsachen“ wohl mehr Arbeit auf die Staatsanwaltschaften zukommen. Verfahrensverstöße, die der BGH im vorliegenden Fall noch hat „durchgehen“ lassen, werden zukünftig wohl zu Urteilsaufhebungen führen.

Abschleppkosten für unbefugt auf Privatgrundstück abgestelltes Auto

Wer sein Fahrzeug unbefugt auf einem Privatgrundstück abstellt, begeht verbotene Eigenmacht, derer sich der unmittelbare Grundstücksbesitzer erwehren darf, indem er das Fahrzeug abschleppen lässt; die Abschleppkosten kann er als Schadenersatz von dem Fahrzeugführer verlangen, §§ 823 II, 858, 859 BGB (BGH-NJW 2009, 2530).

Festschrift – nicht immer selbst ein Fest

Als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins hatte ich die in diesem Jahr erschienene Festschrift zum 25jährigen Bestehen erworben. Den Titel „Strafverteidigung im Rechtsstaat“ fand ich zumindest einfallslos und trivial, so wie: „Autofahren im Straßenverkehr“ – ja, wo denn sonst?
Die Aufmachung erschien mir eigentlich nur peinlich. In dunkelblaues Kunstleder gebunden und mit Goldschrift verziert, dazu noch einige dekorative Quer- und Längsstriche, ebenso in Gold, kam sie daher wie ein Pfingstochse dekoriert. Eine Festschrift im Stil wilhelminischer Jahrhundertwendebauten. Weiterlesen

Pokemon und Untersuchungshaft

Mein Sohn (8) will mir mal wieder Einzelheiten aus der Welt der Pokemon erzählen. Ich wehre ab. Es interessiere mich nicht. „Ich erzähle dir ja auch nichts davon, wie man einen Unfall abwickelt oder von Untersuchungshaft, weil es dich nicht interessiert“, sage ich. „Dich ja auch nicht“, meint er dazu. Ich entrüste mich und entgegne: „Doch klar, das ist doch meine Arbeit!“ Die Antwort scheint ihn zu wundern; ich frage: „weißt du was Untersuchngshaft ist, das ist Gefängnis.“ „Ach so, ne, wußt ich nicht, ich dachte, da wird untersucht, ob irgendwas klebt.“

Gestern in Gera II

Gestern lagen vor dem Fortsetzungstermin „bei der Poststelle des Langerichts“ dann, nach Angaben der Staatsanwaltschaft, siebenundzwanzig Rechtsanwaltshandakten.  Das Gericht kannte sie natürlich noch nicht und die Verteidiger erst recht nicht. Die Staatsanwältin kommentierte das dann noch damit, daß die Sicherstellung dieser Akten ja aufgrund des in der Verfahrensakte enthaltenen Sicherstellungsnachweises bekannt gewesen wäre und die Staatsanwaltschaft geradezu gerne auch Einsicht in diese Akten gewährt hätte, aber es habe die ja niemand gezielt angefordert. Eine unfruchtbare Diskussion über die Frage, was „die Akten“ i. S. der §§ 147 I und 199 II 2 StPO sind, unterblieb. Weiterlesen

Gestern in Gera

Im Laufe der Verhandlung stellte sich heraus, daß eine Vielzahl von in der Anwaltskanzlei des mit anderen angeklagten Anwalts aus Düsseldorf von der Staatsanwaltschaft nicht mit Anklageerhebung dem Gericht vorgelegt worden waren. Die Staatsanwältin will jetzt mal sehen „was sie noch hat“. Ansonsten rechtfertigte sie das Zurückhalten damit, es sei „alles vorgelegt worden, was den Anklagevorwurf stützt“.
Darf man daraus umgekehrt schließen, daß alles zurückgehalten wurde, was ihn in Frage stellt?

Am Ende dieses Verhandlungstages verlaß der Vorsitzende eine endlos lange Liste, die Urkunden bezeichnete, die die Kammer im Selbstleseverfahren einzuführen gedachte. Nach dem Widerspruch zweier Verteidiger meinte der Vorsitzende, ohne vorherige Kammerberatung, dies wäre ja nur ein Angebot zur Zeitersparnis gewesen, man hätte es ja mal versuchen können, und jetzt werde man halt verlesen. Man werde das Verfahren doch keinem Revisionsrisiko aussetzen.
Man kam sich richtig schuldig vor.
Daß man auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften bestanden hatte.
Und der Kammer Zeit geraubt und Arbeit gemacht.