Archiv für den Monat: September 2009

Nochmals: Pflichtverteidigung bei Untersuchungshaft

Ich hatte am 3.7.09 darüber berichtet, daß das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts insoweit in den Vermittlungsausschuß überwiesen worden war, als durch den neuen § 140 I Nr. 4 StPO bei vollstreckter U-Haft ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt.  Jetzt ist die Regelung Gesetz geworden (BGBl. I 2009, 2277) und tritt am 1.1.2010 in Kraft. Für die Entscheidung zuständig ist der Haftrichter. Die Regelung, wonach der Pflichtverteidiger aus der Zahl derim Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwälte zu bestimmen ist (§ 142 I StPO) entfällt bereits am 1.9.09 (BGBl. I 2009, 2081).
In Zukunft wird verstärkt darauf zu achten sein, daß der Haftrichter eine ordnungsgemäße Auswahl trifft und nicht willfährige Anwälte und/oder Kumpels bevorzugt „bedient“, sondern solche auswählt, die zur Verteidigung des Beschuldigten willens und in der Lage sind.
Andernfalls wird die neue Regelung auch fiskalisch ein teurer „Spaß“, wenn die Beschuldigten, wie oft, die „Willfährigen/Kumpels“ mit fortschreitender Haft wieder loswerden wollen und wegen gestörtem Vertrauensverhältnis ein neuer Pflichtverteidiger beigeordnet werden muß.

Stärkung des Opferschutzes im Strafverfahren

Am 1.9.09 ist das 2. Opferrechtsreformgesetz (BGBl. I 2009, 2280) in Kraft getreten. Es bringt eine Vielzahl von Änderungen bei den Opferrechten (s.a. Celebi, Kritische Würdigung des Opferrechtsreformgesetzes in ZRP 2009, 110).
Eines vorweg: die schon immer zweifelhafte Nebenklagebefugnis des Opfers einer Beleidigung ist gestrichen worden. Dies war im Gesetzgebungsverfahren auch für die einfache Körperverletzung und bei den Opfern der Verletzung von gewerblichen Schutzrechten geplant, ist dann abet fallegenlassen worden. Weiterlesen

1. Geburtstag

Heute vor einem Jahr erschien in diesem Blog der erste Beitrag. Seither waren es 193 Artikel.
Über 20.000 Besucher waren zu verzeichnen. Am häufigsten wurde der Artikel „Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne erneute praktische-/theoretische Prüfung“ vom 19.12.2008 angeklickt, nämlich 622x. Danach kommt dann schon „Rücktritt vom Vorsitz des Anwaltvereins“ vom 23.01.2009 mit 517 Aufrufen.
Anfangs mußte man sich eigens registrieren, um die Artikel kommentieren zu können. Das habe ich geändert. Entsprechend gingen zu „Opa, gib den Lappen ab“ vom 04.08.2009 dann auch sechs Kommentare ein.  
Vom  Leser wünsche ich mir auch im zweiten Jahr zweierlei: Aufmerksamkeit und Resonanz. Und manchmal ein bißchen Spaß.

Opa, gib den Lappen ab!

Sein Auto ist meist silberfarben. Er bevorzugt Mercedes A-Klasse, noch lieber: B-Klasse, oder: Golf „Plus“. Stets in tadellosem Zustand. Auch mintgrüner Japaner bedient er sich oder ältere Baujahre, die er damals kurz vor der Rente „neu“ gekauft hat. Heute ist er so um die 80. Den Führerschein hat er seit den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das bestätigt ihm, daß er dem heutigen Verkehr gewachsen ist. Lebenslange Erfahrung. Politbüromentalität. Oft sieht er auch noch aus wie Erich Honecker.
Er ist ein Sicherheitsrisiko ersten Ranges. Vorausschauend fährt er auf der Autobahn auf die Überholspur, wenn am Horizont ein LKW auftaucht. Selbstverständlich fährt er dort vorsichtig, so mit 100, er ist ja kein Raser, nie gewesen. Mitunter muß der rückwärtige Verkehr, der mit  200 km/h angebraust kommt, dann auch mal „ein bißchen bremsen“, wegen ihm. „Was fahren die auch so schnell?“ Die Fortbewegung auf den eigenen Beinen fällt ihm schwer. Oft hört und sieht er nicht mehr so gut. Er gibt halt sein bestes im Straßenverkehr. Weiterlesen

Detlef Deal aus Mauschelhausen…

… unter diesem Pseudonym hatte Hans-Joachim Weider im StV 1982, 545 die Fachdiskussion zu den Absprachen im Strafprozeß begonnen. Jetzt ist die Absprache auch gesetzlich legitimiert (BGBl I 2009, 2353). Kernvorschrift ist § 257c StPO. Danach kann sich „über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigt werden“ (Abs. 1). Allerdings nur über die Rechtsfolgen, nicht über den Schuldspruch und über Maßregeln. Bestandteil der Verständigung soll  ein Geständnis sein, muß aber nicht (Abs. 2). Abs. 3 regelt das Verständigungsprozederer und Abs. 4: wann das Gericht sich nicht mehr an die Absprache halten muß, nämlich wenn Wesentliches übersehen wurde oder sich erst später ergeben hat und die ausgedealte Strafe nun unzureichend erscheint und auch dann, wenn das Prozessverhalten des Angeklagten nicht der Prognose des Gerichts bei dem Deal entspricht. Oh je!
Aber immerhin ist das Geständnis des Ageklagten dann nicht mehr verwertbar (Abs. 4).

Schünemann hatte in der ZRP 2009, 104 zum nun Gesetz gewordenen Entwurf ausgeführt: es „würde die Zerstörung der rechtsstaatlich-liberalen Struktur des deutschen Strafverfahrens bringen und zugleiche Deutschland international in die Provinzialität zurückwerfen“.
Thomas Fischer hatte in der StraFo 2009, 177 (188) ausgeführt: „Das heutige Absprache-Unwesen ist eine Schwäche der Strafverteidigung, aber eine Schande der Justiz. Diese trägt die Verantwortung. Der Gesetzgeber sollte sich nicht, und zu allerletzt aus fiskalischen Überlegungen, zum Vollstrecker unklarer Interessen machen. Der jetzt beabsichtigte Schritt würde sich für lange Zeit nicht mehr rückgängig machen lassen.“

Gestern in Gera (Teil 3)

Wegen der Widersprüche der Verteidiger gegen ein exzessives Selbstleseverfahren, und deren Aussetzungsanträge, nachdem erst in laufender Hauptverhandlung Akten im Umfang von immerhin 3.500 Seiten „aufgetaucht“ waren, die die StA engegen § 199 StPO nicht dem Gericht vorgelegt hatte (siehe „Gestern in Gera“ Teil 1 und 2), wollte das Gericht eigentlich zu Beginn der Sitzung Beschlüsse verkünden. Der Coverteidiger Rechtsanwalt Kruppa hatte allerdings bezüglich des Aussetzungsantrags noch ein wenig argumentativ nachgelegt. So unterblieb die Verkündung der Beschlüsse. Ihr Inhalt konnte einem dennoch nicht verborgen bleiben. Anläßlich von Inaugenscheinnahmen während der dann stattfindenden Beweisaufnahme lagen sie nämlich auf dem Richtertisch. Man konnte sie in Ruhe durchlesen: weder wird ausgesetzt noch auf den Selbstlesemarathon verzichtet. Es sei denn, die übermorgen zu verkündenden Beschlüsse sind anderen Inhalts als die, deren Verkörperung da auf der Richterbank herumlag.