Archiv für den Monat: November 2009

Polizei kann niemanden zur Aussage zwingen

Wenn die Polizei im Unernehmen steht und anhand eines Beweisfotos den Fahrer eines Firmenwagens ermitteln will, der zu schnell oder mit zu geringem Abstand gefahren sein oder sonst eine Ordnungswidrigkeit begangen haben soll, meinen immer alle, sie müßten jetzt Rede und Antwort stehen. Und die Polizei gibt dem Irrglauben Nahrung mit dem Argument, als Pförtner oder Fuhrparkleiter oder Personalchef stehe einem kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Das mag so sein. Aber sagen braucht man trotzdem nichts. Außer vielleicht: „Gehen Sie bitte, sonst mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch!“
Denn ein Zeuge kann nicht gezwungen werden, vor der Polizei auszusagen. Weder muß man einer Ladung zur Vernehmung folgen und muß, kommt man ihr nicht nach, mit der Anwendung irgendwelcher Zwangsmittel rechnen, noch gibt es für die Polizei Mittel zur Erzwingung einer Zeugenaussage, wenn sie im Betrieb (oder auch bei Ihnen zuhause) auftaucht und Fragen stellt.
Läßt sich der Fahrer, der die Übertretung begangen hat, so nicht ermitteln, ist, unter gewissen Voraussetzungen, allerdings ein Fahrtenbuch denkbar, unter Umständen sogar für alle Fahrzeuge des Beriebes. Wann diese Gefahr konkret besteht, wird Gegenstand eines späteren Artikels sein.

Keine Anwendung der gesetzlichen Verständigungsregeln auf Altfälle

Der BGH hat in einer heute veröffentlichten Entscheidung vom 29.09.09 (1 StR 376/09) bestimmt, daß das neue Rechtsmittelverzichtsverbot des § 302 I 2 StPO nicht für solche Verständigungsfälle gilt, die vor Inkraftreten der gesetzlichen Regelung vom 29.07.09 in § 257c StPO bereits zustande gekommen waren. Hier führt ein Rechtsmittelverzicht unumwunden zur Rechtskraft, weswegen die Revision im entschiedenen Fall unzulässig war.

Strafbarkeit der Körperverletzung bei Verkehrsunfällen

Die Strafverfolgung einer Körperverletzung setzt grundsätzlich einen Strafantrag des Geschädigten voraus.
Die Staatsanwaltschaft kann aber auch dann Anklage erheben, wenn sie das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Wann ein solches bei einem Verkehrsunfall vorliegt, dafür gibt die Nr. 243 III der RiStBV den Amtsanwälten wichtige Leitlinien vor:
„Ein Grundsatz, dass bei einer im Straßenverkehr begangenen Körperverletzung das besondere öffentliche Interessse an der Strafverfolgung stets oder in der Regel zu bejahen ist, besteht nicht. Bei der im Einzelfall zu treffenden Ermessensentscheidung sind das Maß der Pflichtwidrigkeit insbesondere der vorangegangene Genuss von Alkohol oder anderer berauschender Mittel, die Tatfolgen für den Verletzten und den Täter, einschlägige Vorbelastungen des Täters sowie ein Miverschulden des Verletzten von besonderem Gewicht.

Nach diesen Leitlinien wird in der Regel bei verkehrsunfallbedingten Verletzungen mangels Strafantrag ein Strafverfolgungshindernis vorliegen und das Strafverfahren einzustellen sein.

Rücksichtsloses Überholen ist nicht stets eine Nötigung

Nicht jeder vorsätzliche Regelverstoß im Straßenverkehr, der ein Nötigungselement enthält, ist deshalb eine Nötigung. Im heutigen Straßenverkehr behindern sich die Verkehsteilnehmer ständig irgendwie gegenseitig. Gegenbenenfalls liegt dann eine Verkehrsordnungswidrigkeit vor. Begeht er eine der sieben Todsünden und führt dies zu einem Beinaheunfall, macht er sich strafbar gem. § 315c StGB. Bei der Nötigung geht es darum, daß eine Einwirkung auf den anderen Verkehrsteilnehmer bezweckt wird, diese nicht bloße Folge einer Handlung ist, die eigentlich etwas anderes bezweckt, nämlich das schnellere Vorwärtskommen. In diesem Fall kommt eine Strafbarkeit wegen Nötigung nicht in Betracht (OLG Düsseldorf-NJW 2007, 3219).

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Verjährung von Verkehrs-Owi

Zunächst gilt die Frist gemäß § 26 III StVG von drei Monaten bis zum Erlaß des Bußgeldbescheides.
Danach läuft eine sechsmonatige Frist gemäß § 31 OWiG. Bis zum Eintritt der absoluten Verfolgungsverjährung von zwei Jahren (§ 33 III OWiG) kann die Verjährungsfrist mehrfach unterbrochen werden mit der Folge, daß sie von neuem zu laufen beginnt. Wichtigste Unterbrechungstatbestände sind gemäß § 33 OWiG (I Nr. 1) die Versendung des Anhörungsbogens an den Bertoffenen, wobei es nicht darauf ankommt, daß dieser den Anhörungsbogen auch erhalten hat, die Abgabe des Sache von der Staatsanwaltschaft an die Verwaltungsbehörde (I Nr. 8), der Erlaß des Bußgeldbescheides, wenn er innerhalb von zwei Wochen zugestellt wird (I Nr. 9), der Eingang der Akten beim Amtsgericht (I Nr. 10), die Anberaumung einer Hauptverhandlung (I Nr. 11) und der gerichtliche Hinweis auf die Möglichkeit der Entscheidung ohne Hauptvethandlung (I Nr. 12). 
Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein Urteil oder Beschluss nach § 72 OWiG ergangen, so läuft die Verjährungsfrist nicht vor dem Zeitpunkt ab, in dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist (§ 32 II OWiG).

Wo ist der „tiefere Sinn“ eines Beiordnungsantrages im Falle notwendiger Verteidigung?

Vorgänge wie der folgende sind es, weswegen sich das Mitleid über die Überlastung der Richter in Grenzen hält. Überlastung ist halt eben dort am größten, wo zu wenig gearbeitet und die eigene und die Arbeitszeit der Schreibdienste veruntreut wird für allerlei Unproduke und Schikanen: 

August: Anklage wird zugestellt mit der Aufforderung, einen beizuordnenden Verteidiger zu benennen, weil ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt.
September: Verteidiger meldet sich, beantragt Akteneinsicht und Beiordnung als Pflichtverteidiger.
Oktober: Akteneinsicht wird gewährt, Beiordnung als Pflichtverteidiger unterbleibt.
Verteidiger schickt an das Gericht eine Kopie seines Beiordnungsantrags mit dem handschriftlichen Zusatz „Erinnerung“.
November: Der Vorsitzende des Schöffengerichts Bensheim schickt dem Verteidiger eine Kopie hiervon mit dem folgenden Begleitschreiben: „Sicher weiß die Verteidigung den tieferen Sinn der Anlage zu klären.“ Sonst nichts.
Verteidiger schickt das Schreiben zurück mit dem handschriftlich aufgebrachten Text: „Urschriftlich zurück mit dem Hinweis, daß der Beiordnungsantrag entgegen §§ 141 I, 201 StPO noch nicht beschieden ist.“

Bin gespannt, ob die Reaktion eine andere als die alsbaldige Beiordnung sein wird.