Was würde Tucholsky zum „Nadja-Prozeß“ schreiben?

Wer heute den Auftrieb der versammelten „Journalisten“, also Typen mit Presseausweis, im Justizzentrum Darmstadt miterlebt hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich um einen Berufsstand handelt, der sich die Zeit nehmen sollte, einmal über sich selbst nachzudenken, also natürlich nicht der Berufsstand, sondern die, die ihm angehören. Sie scheint es nur in zwei Ausführungen zu geben, entweder hektisch und superwichtig herumtelefonierend oder in die Ecke gekauert und auf Laptops klappernd. Aber geschenkt. Nachdenklich stimmt vor allem der unfaßbare Aufwand, mit kilometerlangem Kabelsalat, unzähligen Kameras und Stativen und den unvermeidlichen und halsbrecherisch in die Fahrbahnen hineinragenden oder auf Gehwegen abgeparkten „Ü-Wagen“ (sagt man so?) mit monumentalen Satellitenschüsseln auf dem Dach und das alles in einer Anzahl, als gelte es über die Ankündigung des 3. Weltkrieges oder zumindest einen „G-8-Gipfel“ zu berichten.
In Wirklichkeit geht es aber nur um Strafverfahren vor dem Jugendschöffengericht in Darmstadt, das mit einem, aufgrund frühen Geständnisses, erwarteten Schuldspruch und einer bedingten Jugendstrafe endete.
Mir scheint das alles auf eine Fehlgeleitetheit des heutigen Journalismus zu deuten, der bedient, was die geifernde „Öffentlichkeit“ verlangt, einzig auf das Ziel der Quote gerichtet und damit letztlich auf Geld. Es ist ein Jammer! Randy Newmanns 70er-Jahre-Verdikt: „it’s money that matters in the U.S.A.“ läßt sich mühelos auf unsere heutigen Verhältnisse übertragen. Und alle machen mit.
Auf die Frage in der Überschrift habe ich keine Antwort. Vielleicht würde er aber bloß über seine Kollegen schreiben, die mehr denn je auf den Hund gekommen sind.

11 Gedanken zu „Was würde Tucholsky zum „Nadja-Prozeß“ schreiben?

  1. Taschentuch

    Bitte um Hilfe zur Überschrift. Was hätte Tucholsky denn Ihrer Meinung nach dazu geschrieben, Ihren Text? Auf welches Ereignis oder Zeitungsaufsatz in seinem Leben beziehen Sie sich? Danke für Info! 🙂

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  2. flauaus Beitragsautor

    Wenn Sie bis zum Ende gelesen haben, sehen Sie, daß ich keine Antwort habe. Tucholsky hat oft über Strafprozeße geschrieben. Finden Sie, daß es heute noch vergleichbare journalistische Leitungen gibt?

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  3. Antiphon

    Ich weiß nicht was Tucholsky gesagt hätte, ich (und viele andere) hätten gesagt „gut so!“. Wer nicht zuerst reich ist und dann Journalist wird, braucht nunmal Geld zum Leben, und wir alle wissen, wie viel mehr man im klassischem Gewerbe dem Geld hinterherlaufen muss. Es ist doch so wie beim Film und der Musik – mit den guten Sachen verdient man kein Geld. Und wenn ich mich dafür entscheide, lieber Scheiße zu produzieren und mir dafür ein tolles Auto kaufe, dann sorge ich auch dafür, dass ein objektives Nullereignis, dass aber subjektiv auf Grund dermaßen vieler Emotionen ein Topinteresse hat, in meinen Medien prominent auftaucht. Ich sehe nichts unmoralisches darin, den Schweinen Mist zukommen zu lassen. Was soll man sonst geben? Perlen werden doch eh verschmäht.

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  4. Kerstin

    @Antiphon:
    Die Behauptung, dass man mit Qualität kein Geld verdienen könnte ist falsch. Es gibt viele Branchen in denen gute Qualität mehreren Firmen ein gutes Leben sichert, obwohl viele große Firmen mit Billigkram versuchen alle „Ich fahr auch 20km, wenn es dort 1 Cent günstiger ist“-Käufer zu erreichen. Der Markt für Qualität ist immer da. Er mag von den Stückzahlen her nicht so groß sein, aber der Umsatz reicht meist aus vielen Leuten ein gutes Leben zu ermöglichen.
    Die Pauschalisierung, die z.B. die Discounter immer herumschreien (nämlich das ALLE immer alles günstiger wollen), ist Blödsinn. Zunächst gehöre ich auch zu den „Allen“, die angeblich alles günstiger haben wollen und ich denke nicht so. Zum anderen bezweifle Ich, dass es überhaupt jemanden gibt, der Aldi, Lidl & Co abklappert und nachschaut wo die Milch am günstigsten ist und diese dann dort kauft.

    Was ich mich bei solchen Ereignissen immer wieder frage, v.a. wenn die Standard-Rechtfertigung „Aber die Leute wollen das doch“ kommt. Berichten die darüber, weil es dank „vieler Emotionen ein Topinteresse hat“ oder hat es ein Topinteresse, weil mit vielen Emotionen darüber berichtet wird?

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  5. SwENSkE

    @ 3/Antiphon

    Selten eine üblere Rechtfertigung gesehen.
    Wenn Sie tatsächlich Journalist sein sollten, dann kann ich nur sagen – Beruf verfehlt. Und ihren Lesern/Zuschauern den schwarzen Peter für die Boulevardisierung sämtlicher Medien zuzuschieben greift definitiv zu kurz.
    Wenn ihr Behauptung richtig wäre, müssten sich die Medien, die sich der Verbreitung dieser „Non-News“ verschrieben haben, besonders gut dastehen. Das Gegenteil ist der Fall. Und den seriösen Medien rennen die Leser/Zuschauer ebenfalls in Scharen weg – nicht zuletzt weil sie den Mist, der ihnen vorgesetzt wird, nicht mehr ertragen können.

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  6. Data

    Aufgefallen in der Berichterstattung über den Fall sind mir die immer gleichen Fehler der Journalisten. Obwohl das Verfahren vor dem Amtsgericht stattfand, wird behauptet, es würden 10 Jahre Haft drohen. Die Redaktionen schauen offenbar ins Gesetz und schreiben dort stumpf ab. Wenn sie dort richtig nachlesen würden, würden sie feststellen, dass vor dem Amtsgericht eine solche Strafe gar nicht verhängt werden kann.
    Gestern erklärte ZDF.de, die Staatsanwaltschaft meine, es kame Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung, weil die Angeklagte zur Tatzeit 22 Jahre alt gewesen sei.
    Auch dies ist völliger Unsinn, jedenfalls mit dieser Formulierung. Bei einem Alter von 22 Jahren hätte die StA hierzu keinerlei Aussagen getroffen. Vermutlich wurden einige Taten noch mit 21 begangen, so dass die Frage war, ob diese Taten noch unter das Jugendstrafrecht fallen.

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  7. flauaus Beitragsautor

    Allerdings reicht die Strafgewalt der Jugendschöffengerichts in der Tat so weit, wie es das Jugendstrafrecht hergibt, nämlich 10 Jahre. Denn erstinstanzlich ist es allzuständig mit Ausnahme von Schwurgerichtssachen, Umfangsverfahren und bei mitangeklagten Erwachsenen, für die die Strafkammer zuständig wäre, § 41 JGG. Das Höchstmaß war in dieser Sache fünf Jahre, §§ 18 JGG, 224 StGB.

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  8. Icke

    Ganz schön viele Klischees in einen ganz schön kurzen Text. Und eine ganz schön Schlappe These: Berichtet wird über Promi-Prozesse, weil man damit Geld verdienen kann. Echt wahr? Liegt’s vielleicht daran, dass viele das lesen wollen? Und kommt’s nicht darauf an, was schließlich geschrieben wird? Und wär’s nicht gut, statt einer oberflächlichen Beobachtung und einer vielleicht noch rudimentären Reflexion unter einer solchen Überschrift etwas Substanzielles zu Posten?

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