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Majestät: „Hat ER noch eine Frage?“

Freilich, das Richteramt ist ein königliches, aber man muß es mit dem Gehabe auch nicht übertreiben.
Am Landgericht Mannheim befragte der Vorsitzende Richter den türkischen Zeugen stundenlang, wobei er sich einer Dolmetscherin bediente. Er fragt aber nicht direkt, sondern lieber die Dolmetscherin, beispielsweise: „Hat er das so bei der Polizei gesagt?“ oder „Ist das hier seine Unterschrift?“ usw.
Nach einiger Zeit längeren Befragens in besagter Weise bat ein Verteidiger, doch von „dem etwas antiquierten friderizianischen Er“  Abstand zu nehmen, worum sich der Vorsitzende (das sei „etwas schwierig“) anläßlich der nächsten beiden Fragen erfolgreich bemühte, um allerdings in bemerkenswerter Rückfallgeschwindigkeit alsdann zu dem von ihm eingeübten Modus zurückzukehren.  Weiterlesen

Kachelmann – eine Leseempfehlung

Kachelmanns soeben erschienenes Buch „Recht und Gerechtigkeit“, das er zusammen mit seiner Frau Miriam geschrieben hat, sollte Pflichtlektüre für alle sein, die mit der Strafjustiz professionell zu tun haben. Es ist die  Innenansicht eines Außenstehenden dessen, womit wir täglich zu tun haben. Kachelmann vermag zu vermitteln, wie  es ihm, als in das Räderwerk der Strafjustiz geratenem, ergangen ist, wie ausgeliefert er war. Er nimmt, wie man so sagt, „kein Blatt vor den Mund“ und „schont“ weder die Verteidigerzunft, noch die Presse und schon gar nicht die Staatsanwaltschaft oder die in seinem Fall zuständigen Richter der Strafkammer in Mannheim.
Ich habe dieses Buch bis zur letzten Seite nicht mehr aus der Hand gelegt!
Siehe auch meine älteren Beiträge zum Stichwort „Kachelmann“ vom 21.06.10, 29.06.10, 29.07.10, 04.08.10, 06.09.10, 07.09.10, 11.11.10, 25.11.10, 30.11.10, 07.01.11, 18.01.11, 31.01.11, 31.05.11 und 08.05.12.

Neues im Jugendstrafrecht (BGBl. I 2012, 1854)

Seit dem 5.9.12 kann das Jugendstrafgericht bei einem Heranwachsenden wegen Mordes eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren verhängen (§ 105 III JGG neu). Nach einer Frist von  sechs Monaten seit Gesetzesverkündung am 4.9.12 kann in Zukunft neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe daneben Jugendarrest verhängt werden (§ 16a JGG neu). Das Gericht kann gerade im Hinblick auf diese Möglichkeit Bewährungsstrafen verhängen (§ 21 I S. 2 neu), die ansonsten zu vollstrecken gewesen wären. Über die „Vorbewährung“ gem. § 27 JGG hinaus kann zukünftig die Entscheidung ob „Bewährung gegeben“ wird überhaupt zurückgestellt und nachträglichem Beschluss (binnen 6 Monaten seit Rechtskraft) vorbehalten bleiben (§§ 61 ff JGG neu). Die Vollstreckung ruht bis dahin (§ 89 JGG neu). Belehrungen haben zukünftig jugend- und heranwachsendengerecht zu erfolgen (§ 70a JGG neu).

Verteidiger geht auf Distanz – Revision unzulässig

Wieder hat der BGH entschieden, dass es zur Zulässigkeit einer Revision gegen ein Strafurteil nicht genügt, die Auffassung des angeklagten Mandanten zu übermitteln. Vielmehr muß der Verteidiger des Revisionsführers für den Inhalt der Revision selbst i.S.d. § 345 II StPO die Verantwortung übernehmen (2 StR 83/12).

„Narrenfreiheit“ für süddeutsche Strafjustiz

In einem Artikel zur Spruchpraxis des 1. Strafsenats (Vors. Armin Nack) heißt es:

“ In Baden-Württemberg und Bayern bedeutet das, dass Strafverfolgungsbehörden und große Strafkammern sich in einem Klima der fast vollständigen Freiheit von Kontrolle eingerichtet haben um nicht zu sagen: Narrenfreiheit genießen.
Übertrieben? Man nehme nur den Landgerichtsbezirke Mannheim, einem der 39 im Zuständigkeitsbereich des 1. Strafsenats. Der Verfolgungseifer am Rande des rationalen – man möchte fast sagen: die Verfolgungspsychose – der dortigen Staatsanwaltschaft und die Verfahrensgestaltung durch das Landgericht erregen immer wieder bundesweites Aufsehen. Nicht nur die Prozessodyssee des Harry Wörz  und die Justizinszenierung im Falle Jörg Kachelmann sind hier zu nennen, sondern auch die Heimsuchung des SAP-Gründers Dietmar Hopp, die diesen sogar veranlasste, eine Stiftung gegen Justizmissbrauch ins Leben zu rufen. Die dortige Justiz hat verinnerlicht, dass sie mit einer Rückendeckung durch den BGH immer rechnen kann und geht damit selbstbewusst um wie mit einer Blankovollmacht. Nicht von ungefähr klingt das obige Zitat des Tübinger Strafrichters oder Staatsanwalts („wie Oliver Kahn – der hält alles, was zu halten ist“) nicht etwa kritisch, sondern wie ein Ausruf eines Fans.“ (Oliver Garcia, myops 15 (2012), S. 60 f, Beck-Verlag)
Im Bereich der Haftbeschwerden gegen Entscheidungen der Jugendkammer kommt dieser in Mannheim zudem zugute, dass der Vorsitzende der Beschwerdekammer am OLG Karlsruhe langjähriger Vorsitzender der Jugendkammer in Mannheim war. „Seine“ damaligen Beisitzerinnen blieben vor Ort. So öffnet sich über den Mannheimer Entscheidungen der viel zitierte „blaue Himmel der Rechtskraft“. Für eine gefKV eines Jugendlichen gibt’s 3 Jahre; für den  Raub eines Handys u. dgl. unter Einsatz eines Messers durch einen Jugendlichen im Drogenmilieu gibt’s 4 J. 9 M.; die Sache wurde an der unzuständigen Jugendkammer angeklagt, die sie auch verhandelt hat. Zur Begründung hieß es in der Anklageschrift, die „Strafgewalt des Jugendschöffengerichts“ reiche nicht aus. Es kann dann nicht verwundern, wenn Garcia von „Narrenfreiheit“ spricht.

Du nix brauche Dolmetscher, du gehe Knast!

Die vorangehende Strafverhandlung hatte Verspätung, weswegen man hinten Platz nahm und Öffentlichkeit war. Der dortige Angeklagte war von Aussehen, Haartracht und Kleidung Jamaikaner. Er sprach Englisch mit ein paar eingestreuten Wörtern deutsch. Wenn er etwas nicht verstand, wandte er sich hilfesuchend an den neben dem Richter sitzenden Referendar, der augenscheinlich in die englische Sprache übertrug. Augenscheinlich deswegen, weil man hinten nichts von dem verstand. StA beantragte vollstreckbare Freiheitsstrafe, Verteidiger (ja, den gab es!) Freispruch. Schlussworte des Angeklagten in Englisch. Urteil: 9 Monate „ohne“. In Bensheim am 17.04.2012.

Folgen des Streits um den Vorsitz des 2. Strafsenates des BGH

In der Entscheidung des 2. Senats (2 StR 482/11) über ein (aufzuhebendes) Urteil des Landgerichts Gera kann man nachlesen, warum dieser Senat sich  für vorschriftsmäßig besetzt hält, obwohl in der Entscheidung 2 StR 346/11 im Hinblick auf die Doppelbelastung des Vorsitzenden der beiden Senate Dr. Ernemann Bedenken geäussert worden waren, dieser sei deswegen (Doppelbe- und Überlastung) kein gesetzlicher Richter, weswegen dieses Revisionsverfahren ausgesetz worden war.

Grenzwerte bei Drogenfahrt nach wie vor kein Thema

Burhoff weist auf eine Entscheidung des 4. BGH Senates vom Ende des letzten Jahres hin, der gemäß es bei einer „Drogenfahrt“ auch zukünftig der, die Fahruntüchtigkeit belegenden, Beweisanzeichen bedarf, um von Fahruntüchtigkeit i.S. des § 316 StGB ausgehen zu können. Bestimmte Blutwirkstoffbefunde reichen danach nicht aus, auch wenn gewisse von der Grenzwertekommission empfohlene Grenzwerte um das fünffache überschritten sind.
Das Thema beschäftigte wiederholt den Verkehrsgerichtstag. Verbindliche Grenzwerte  wie die 1,1 Promillegrenze bei Alkohol sind medizinisch bei Drogen jedenfalls derzeit nicht zu erwarten.

Der liebe Kollege

Nachdem die Mutter das Strafmandat mit dem vormals tätigen Rechtsanwalt für ihren inhaftierten Sohn beendet hatte, schickte er ihr eine vierstellige Kostenrechnung für 3,75 Stunden a 250 € zzgl. MwSt. Beiordnen lassen hatte es sich in diesen 3,75 Stunden dabei schon. Nicht hingegen eine Honorarvereinbarung getroffen. Und 250 €/h? ‚Ne Menge Geld für einen FWWRA (Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt). Aber der Versuch scheint’s ihm wert gewesen zu sein.