Nachdem das Bundesverfassungsgericht bei automatisierten Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen die fehlende gesetzliche Eingriffsermächtigung reklamiert hatte, schüttelten einige Oberlandesgerichte eine solche in Gestalt des § 100 h StPO, eine im Verkehrsrecht bislang ein unbeachtetes Dasein fristende Vorschrift, aus dem Ärmel. Diesem Hütchenspielertrick zur Aufrechterhaltung der ansonsten ach so beeinträchtigen Verkehrssicherheit und -als nicht ungelegenem Nebeneffekt- zur Sicherung einer in die öffentlichen Haushalte eingeplanten Millioneneinnahme, wird in NZV 2011, 67 von dem Kollegen Dr. Alexander Wilcken eine klare Absage erteilt. Die gegenwärtige Praxis des Blitzens und Filmens bleibt mangels gesetzlicher Eingriffsermächtigung illegal.
Daß sich die Oberlandesgerichte für eine legalistische Argumentation mit § 100 h StPO hergeben, macht besorgt.
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Der Massenfreispruch von Herford
Die FAZ berichtete gestern über den „Massenfreispruch“ von 40 Betroffenen von Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen am Amtsgericht Herford in Westfalen. Der offensichtlich erfahrene Richter Helmut Knöner (62) habe dies mit nicht eindeutigen gesetzlichen Regelungen zur Tempoüberwachung begründet. Die Lichtbildaufnahmen beruhten auf gesetzlichen Vorschriften, die zur Terrorabwehr geschaffen worden seien (gemeint ist wohl § 100h StPO). Er bemängelt, daß nicht (nur) da „geblitzt“ werde, wo es für die Verkehrssicherheit sinnvoll ist, sondern (auch) dort, wo sich mit den Verkehrsübertretungen Kasse machen lasse. Es sei dazu keine genaue Vorschrift für die Verkehrsüberwacher vorhanden, die diese entsprechend binde, so daß jeder da blitze, wo er Lust hat.
Der Mann hat Recht! Und er weiß wovon er redet. Das Gerede von der Raserei, der Einhalt zu gebieten sei, ist reine Heuchelei! Mal sehen, wie das weitergeht. Nicht, daß gegen den Mann noch ein Rechtsbeugungsverfahren eingeleitet wird. Lieber soll das OLG Hamm mal über die Rechtsbeschwerden der StA entscheiden.
BVerfG: „Blitzen“ verfassungsgemäß
Das Bundesverfassungsgericht hat am 5.7.10 in einem Nichtannahmebeschluss entschieden, daß verfassungsrechtlich keine Bedenken bestehen gegen „Blitzen“ von Kraftfahrzeugen und die Anfertigung von Bildaufnahmen zum Beweis von Verkehrsverstößen. Im entschiedenen Fall war die Meßeinrichtung so eingestellt, daß bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h Fahrzeuge geblitzt werden, die mindestens 92 km/h gefahren sind.
Dadurch sei die Maßnahme nicht verdachtsunabhängig, es schade auch nicht, daß das Bild dann automatisch ausgelöst werde und nicht von einer Person.
Daß von den Fachgerichten als Ermächtigungsgrundlage § 100h StPO zugrundegelegt worden ist, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (2 BvR 759/10).
Inwieweit dies auch für die mittels Videoaufzeichnung gewonnen Filme unterschiedlicher Aufnahmesysteme bei Abstandsverstößen und Geschwindigkeitsüberschreitungen gilt, werden weitere Entscheidungen des BVerfG zeigen.
Kein Beweisverwertungsverbot bei Messung mit Laserpistole
Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 5.3.10 (NZV 2010, 262) noch einmal seine Auffassung aus dem Beschluss vom 9.2.10 (NZV 2010, 263) bekräftigt, wonach ein Beweisverwertungsverbot in Betracht kommt, wenn eine verdachtsunabhängige Bildaufzeichnung (Vibram, VKS) erfolgt. Dort hatte das OLG ausgeführt, daß die bezeichneten Verfahren dem Beschluss des BVerfG vom 11.08.09 (NJW 2009, 3293) zuwider laufen und der Gesetzgeber „gefordert (ist), die … gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu schaffen.“
Bei der Entscheidung vom 5.3.10 ging es hingegen um eine Messung mit einer sogn. Laserpistole (Riegl FG 21-P), bei der gerade keine verdachtsunabhängige Speicherung erfolgt sondern gezielt anvisiert und die kurzzeitige Speicherung sogleich automatisch wieder gelöscht wird.
Siehe hierzu auch OLG Brandenburg.
Für Schwerkriminelle oder Raser: § 100h StPO omnibus!
Der ESO ES 3.0 ist ein Einseitensensormessgerät, das die Geschwindigkeit mittels Lichtschranke ermittelt. Im entschiedenen Fall hatte der Meßbeamte das Gerät in einer 80er-Zone so eingestellt, daß alle beblitzt wurden, die schneller als 92 fuhren. Das hat das OLG Brandenburg gebilligt (NJW 2010, 1471). Rechtsgrundlage sei § 100h I Nr. 1 StPO. Im Gegensatz zu dessen Nr. 2 sei das Anfertigen von Bildaufnahmen nicht an eine – hier unstr. nicht vorliegende – Observation gebunden, die ihrerseits Straftaten von erheblicher Bedeutung voraussetzt.
Das ist bereits im Ansatz falsch, weil sich seinem Wortlaut nach der gesamte § 100h StPO mit Maßnahmen zu Observationszwecken befaßt (Meyer-Goßner, 100h, Rn. 1). Elegant auch, wie das OLG die Hürde nimmt, wonach nur gegen Beschuldigte in dieser Weise vorgegangen werden dürfe. „Der Tatverdacht besteht … bereits ab dem Zeitpunkt, in dem das Messgerät die Geschwindigkeitsüberschreitung registriert.“
Bravo! Das Messgerät also macht den Tatverdacht. Alles automatisch. Am besten machen wir auch den Rest dann auch gleich ohne Beteiligung von menschlichen Trägern staatlicher Strafgewalt und ziehen den so Gemessenen mitsamt seinem Fahrzeug mittels Maschinenkraft aus dem Verkehr und verweisen ihn in den Orkus, wo er seine Bußgeldschuld abarbeiten und das Fahrverbot verbüßen kann. Alles automatisch.
AG Groß-Gerau: Abstandsmessung mit VKS unzulässig!
Ich hatte bereits am 21.08., 22.09.09 und am 13.04.10 über die Frage der Zulässigkeit von Videobrückenabstandsmessverfahren (Vibram) berichtet. Das Amtsgericht Groß-Gerau hat heute einen Betroffenen freigesprochen, bei dem mit dem System VKS gemessen und eine Abstandsunterschreitung festgestellt worden war, die zu einem Bußgeld von 240 € und einem einmonatigen Fahrverbot geführt hätte. Das Gericht konnte weder eine gesetzliche Eingriffsermächtigung erblicken, weswegen es von einem Beweiserhebungsverbot ausging, noch seien die so gewonnen Daten gegen den Betroffenen gerichtsverwertbar. Kopfschütteln rief die in der Sitzung vertretene Staatsanwaltschaft hervor, die als Eingriffsgrundlage in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht etwa den üblichen § 100h StPO sondern „das HSOG (Hessisches Gesetz über die Sicherheit und Ordnung) und die hierauf ergangenen Verordnungen“ anführte, freilich ohne konkreter zu werden.
Der Bußgeldrichter sprach von dem Unterschied zwischen Gefahrenabwehr einerseits und Strafverfolgung und der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten andererseits, der eigentlich bekannt sein sollte und von „Grundkurs“.
Die Staatsanwaltschaft wird gegen das Urteil Rechtsbeschwerde einlegen.
Geschwindigkeitsmessung auf Erlaßgrundlage
Das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 941/08) hat die Entscheidungen des Amtsgerichts Güstow und des OLG Rostock kassiert, die nichts dagegen einzuwenden hatten, daß eine eigentlich zur Abstandsmessung eingerichtete Videomessstelle, mit der fortlaufend alle vorbeifahrenden Fahrzeuge gefilmt wurden, auch zur Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung benutzt wurde, obwohl eine gesetzliche Grundlage fehlte und statt dessen aufgrund eines zur Abstandmessung ergangenen ministeriellen Erlasses die Messungen erfolgten.
Dies sei ein Verstoß gegen Art. 3 GG in der Ausprägung des Willkürverbotes, weil die Messung gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vertoße, in welches nur aufgrund gesetzlicher Grundlage und nicht bloß aufgrund eines Erlasses eingegriffen werden dürfe. http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20090811_2bvr094108.html