Den Vorwurf, man habe als Bußgeldrichter jahrelang gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen und reihenweise Betroffene verknackt, die bei einem Videobrückenmessverfahren ins Netz gegangen waren, obwohl es dafür keine gesetzliche Ermächtigung gab (und gibt), läßt man nicht gerne auf sich sitzen. Regt der Verteidiger beispielsweise beim Amtsgericht Offenburg im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG die Einstellung des Verfahrens an, erhält er zur Antwort:
“ Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,
die Senate in Baden-Württemberg gehen von Paragraph 100 h StPO als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage aus. Das Amtsgericht Offenburg folgt dem.
Mit freundlichen Grüßen
Richter am Amtsgericht „
Damit scheint man alle Probleme gelöst zu haben. Nicht nur muss man selbst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch immer keinen laufen lassen, sondern mit der „Entdeckung“ des Paragraphen 100 h StPO als Ermächtigungsgrundlage für das beanstandete Messverfahren legitimiert man nachträglich, dass man sich all die Jahre keinerlei Gedanken über die Grundrechtskonformität der Videomessung gemacht hat. Leider gilt dies so ziemlich für die gesamte Fachwelt. Da musste erst Karlsruhe kommen.
Roggan, Strafsrechtslehrer an der Polizeiakademie Niedersachsen, hat in der neuen NJW (2010, 1042) noch einmal deutlich gemacht, dass derzeit eine gesetzliche Grundlage für das beanstandete Videomessverfahren nicht vorhanden ist. Insbesondere ist auch Paragraph 100 h StPO keine geeignete Eingriffsermächtigung. Diese sei zu Observationszwecken von Schwerkriminalität geschaffen, wobei weder Schwerkriminalität vorläge noch die Videoüberwachung wegen Abstands- und Geschwindigkeitsvergehen „Observation“ darstelle. Außerdem setzte die Maßnahme zumindest einen konkreten Tatverdacht gegen ein Individuum und damit eine von einem Menschen getroffene Entscheidung und nicht eine „Entscheidung“ einer Maschine, nämlich der Meßeinrichtung, voraus.
Hallo, das ist leider m.E. das Problem, das die obergerichtliche Rechtsprechung – mit einigen löblichen Ausnahmen – derzeit hat. Wir alle sind erschrocken, dass wir uns in den vergangenen Jahren um die Ermächtigungsgrundlage nie Gedanken gemacht haben. Und was tun wir? Wir biegen uns eine Ermächtigungsgrundlage, die für ganz andere Fälle gedacht war zu Recht. M.E. müsste der Gesetzgeber ganz schnell tätig werden.
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