Schlagwort-Archive: Beweisverwertungsverbot

Abgehörte Selbstgespräche unverwertbar

Der 2. Senat hat am 22.12.11 entschieden, dass wegen des verfassungsrangigen allgemeinen Persönlichkeitsrechts richterlich angeordnete Aufzeichnungen „echter“ Selbstgespräche, die also nicht kommunikative Funktion haben, -gleich den „freien Gedanken“- auch in Fällen von Schwerstkriminalität unverwertbar sind (2 StR 509/10).

Richtervorbehaltsdämmerung bei der Blutprobe

Nachdem die Strafverfolger den Richtervorbehalt in § 81a StPO beharrlich ignoriert hatten und seine Befolgung vom BVerfG (zuletzt NJW 2010, 2864) eingefordert werden mußte, hat sich die Praxis damit zwar abgefunden, erhebt nun aber an den Gesetzgeber die Forderung, den Richtervorbehalt einfach zu streichen (so RiOLG Dr. Jens Peglau, NJW 2010, 2850 (2852). Es handele sich um einen „minimale(n) körperliche(n) Eingriff“ (a.a.O.), der keines Richtervorbehaltes bedürfe.

Nachtrag vom 08.10.10: Burhoff hat den Begriff der Richtervorbehaltsdämmerung aufgenommen und hierzu in Bezug auf eine niedersächsiche Gesetzesinitiative berichtet.

OLGe uneinig über Beweisverwertungsverbote bei Videoüberwachung

Beweisverwertungsverbot bei Videomessung. Wie ist der Stand?
Bei anlassunabhängiger personenbezogener Videoaufzeichnung (VKS) haben das OLG-Dresden am 2.2.10 (Ss OWi 788/09), das OLG Hamm am 22.12.09 (1 Ss OWi 960/09) und das OLG Oldenburg am 27.11.09 (Ss Bs 186/09) Verwertungsverbote postuliert. Bezüglich ViBrAM gibt es bisher nur die Entscheidung des OLG-Düsseldorf vom 9.2.10 (NJW 2010,1316). In den jüngeren Entscheidungen zweier anderer Senate des OLG Düsseldorf wird diese als „Einzelrichterbeschluss“ abgekanzelt, dem „in keinem Punkt zu folgen“ sei. Bemerkenswert bei einer Entscheidung, die sich in der NJW über vier Seiten erstreckt. Natürlich sei § 100h StPO gesetzliche Eingriffsermächtigung (auf den war das BVerfG am 11.8.09 irgendwie nicht gekommen) und die Sache sei auch nicht an den BGH gem. § 121 GVG vorlagepflichtig, weil eine Divergenz bzgl ViBrAM nur innerhalb des OLG Düsseldorf, nicht aber zu den übrigen OLGen bestehe (OLG Düsseldorf IV-1 RBs 23/10 vom 15.03.10,  4 RBs 143/09 vom 05.05.10).

Weswegen § 100h StPO, zu Observationszwecken bei nicht unerheblichen Straftaten geschaffen, eine geeignete Eingriffsermächtigung darstellen soll, dafür gibt es auch in den beiden letztgenannten Entscheidungen des OLG Düsseldorf keine überzeugende Begründung. Letztlich wird wieder das BVerfG Klarheit schaffen müssen

Verwertungsverbot bei polizeilicher Blutentnahmeanordnung (OLG Schleswig)

In dem vom Schleswig-Holsteinischen OLG entschiedenen Alltagsfall (StraFo 2010, 194) hatte die Polizeibeamtin bei einem Autofahrer so gegen 12.00 Uhr mittags, welchen Wochentags wird nicht mitgeteilt, den Verdacht, er habe sein Fahrzeug unter dem Einfluss von Drogen geführt. Sie wußte (wie jeder Polizist), daß eine Blutprobe nur von einem Richter angeordnet werden darf (§ 81a StPO), wenn nicht die Gefahr besteht, daß dann der Beweis verloren geht oder erheblich erschwert wird. Trotzdem veranlaßte sie die Blutentnahme durch einen Arzt, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, dies richterlich anordnen zu lassen. Weiterlesen

Verwertungsverbot bei Videobrückenabstandsmessung – Freispruch AG Groß-Gerau rechtskräftig

Ich hatte am 20.05.2010 über vier Fälle von Straßenverkehrsvergehen berichtet, deren ein junger Mann bezichtigt worden war, die allesamt nicht zu Verurteilungen geführt hatten. In einer Sache war er -allerdings nicht rechtskräftig- vom Amtsgericht Groß-Gerau freigesprochen worden. Heute kam nun die Mitteilung, daß die Staatsanwaltschaft Darmstadt die Rechtsbeschwerde zurückgenommen hat. Das Urteil des Amtsgerichts Groß-Gerau, wonach bei Messungen mit dem System VKS ein Verwertungsverbot der insoweit gewonnenen Bildaufnahmen besteht, ist somit rechtskräftig.

Kein Beweisverwertungsverbot bei Messung mit Laserpistole

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 5.3.10 (NZV 2010, 262) noch einmal seine Auffassung aus dem Beschluss vom 9.2.10 (NZV 2010, 263) bekräftigt, wonach ein Beweisverwertungsverbot in Betracht kommt, wenn eine verdachtsunabhängige Bildaufzeichnung (Vibram, VKS) erfolgt. Dort hatte das OLG ausgeführt, daß die bezeichneten Verfahren dem Beschluss des BVerfG vom 11.08.09 (NJW 2009, 3293) zuwider laufen und der Gesetzgeber „gefordert (ist), die … gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu schaffen.“
Bei der Entscheidung vom 5.3.10 ging es hingegen um eine Messung mit einer sogn. Laserpistole (Riegl FG 21-P), bei der gerade keine verdachtsunabhängige Speicherung erfolgt sondern gezielt anvisiert und die kurzzeitige Speicherung sogleich automatisch wieder gelöscht wird.

Siehe hierzu auch OLG Brandenburg.

Für Schwerkriminelle oder Raser: § 100h StPO omnibus!

Der ESO ES 3.0 ist ein Einseitensensormessgerät, das die Geschwindigkeit mittels Lichtschranke ermittelt. Im entschiedenen Fall hatte der Meßbeamte das Gerät in einer 80er-Zone so eingestellt, daß alle beblitzt wurden, die schneller als 92 fuhren. Das hat das OLG Brandenburg gebilligt (NJW 2010, 1471). Rechtsgrundlage sei § 100h I Nr. 1 StPO. Im Gegensatz zu dessen Nr. 2 sei das Anfertigen von Bildaufnahmen nicht an eine – hier unstr. nicht vorliegende – Observation gebunden, die ihrerseits Straftaten von erheblicher Bedeutung voraussetzt.
Das ist bereits im Ansatz falsch, weil sich seinem Wortlaut nach der gesamte § 100h StPO mit Maßnahmen zu Observationszwecken befaßt (Meyer-Goßner, 100h, Rn. 1). Elegant auch, wie das OLG die Hürde nimmt, wonach nur gegen Beschuldigte in dieser Weise vorgegangen werden dürfe. „Der Tatverdacht besteht … bereits ab dem Zeitpunkt, in dem das Messgerät die Geschwindigkeitsüberschreitung registriert.“
Bravo! Das Messgerät also macht den Tatverdacht. Alles automatisch. Am besten machen wir auch den Rest dann auch gleich ohne Beteiligung von menschlichen Trägern staatlicher Strafgewalt und ziehen den so Gemessenen mitsamt seinem Fahrzeug mittels Maschinenkraft aus dem Verkehr und verweisen ihn in den Orkus, wo er seine Bußgeldschuld abarbeiten und das Fahrverbot verbüßen kann. Alles automatisch.

AG Groß-Gerau: Abstandsmessung mit VKS unzulässig!

Ich hatte bereits am 21.08., 22.09.09 und am 13.04.10 über die Frage der Zulässigkeit von Videobrückenabstandsmessverfahren (Vibram) berichtet. Das Amtsgericht Groß-Gerau hat heute einen Betroffenen freigesprochen, bei dem mit dem System VKS gemessen und eine Abstandsunterschreitung festgestellt worden war, die zu einem Bußgeld von 240 € und einem einmonatigen Fahrverbot geführt hätte. Das Gericht konnte weder eine gesetzliche Eingriffsermächtigung erblicken, weswegen es von einem Beweiserhebungsverbot ausging, noch seien die so gewonnen Daten gegen den Betroffenen gerichtsverwertbar. Kopfschütteln rief die in der Sitzung vertretene Staatsanwaltschaft hervor, die als Eingriffsgrundlage in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht etwa den üblichen § 100h StPO sondern „das HSOG (Hessisches Gesetz über die Sicherheit und Ordnung) und die hierauf ergangenen Verordnungen“ anführte, freilich ohne konkreter zu werden.
Der Bußgeldrichter sprach von dem Unterschied zwischen Gefahrenabwehr einerseits und Strafverfolgung und der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten andererseits, der eigentlich bekannt sein sollte und von „Grundkurs“.

Die Staatsanwaltschaft wird gegen das Urteil Rechtsbeschwerde einlegen.

Verhaften sie die üblichen Verdächtigen

Man kann sicher darüber streiten, welcher Verfahrensverstoß der Strafverfolgungsbehörden am Ende dazu führt, dass der erhobene Beweis nicht gegen den Beschuldigten im Strafverfahren verwertet werden darf.
Offensichtliche Verfahrensverstöße aber gar nicht erst als solche zu erkennen und dann, wenn man darauf aufmerksam gemacht wird, ihn als solchen nicht anzuerkennen und (noch später) sich schön zu reden, ist indiskutabel.
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Videoüberwachungsdämmerung

In seiner Besprechung ((NZV 2009, 621) der Entscheidung des BVerfG vom 11.08.2009 (ebd. S. 618) zur Videoüberwachung erkennt Carsten Krumm in § 100 h StPO die Ermächtigungsgrundlage hierfür, erinnert die Verteidiger daran, daß sie der Verwertung des Bildmaterials (spätestens) in der Hauptverhandlung widersprechen müssen, wenn sie deren Unverwertbarkeit erreichen wollen, weist auf die Benachrichtigungs- und Belehrungspflichten des § 101 StPO hin, die dazu führen würden, daß auf die Behörden in Zukunft „erhebliche Arbeit“ zukäme, wollten sie nicht ein Verwertungsverbot alleine aufgrund eines willkürlichen Verstoßes gegen § 101 StPO riskieren, ist sich seiner Sache am Ende allerdings wohl doch nicht so sicher, wenn er jedenfalls bei dem nicht geständigen Betroffenen auf die Einstellungsmöglichkeit nach § 47 OWiG hinweist und schließlich eine eigene Ermächtigungsgrundlage in OWiG oder StVG für Videoüberwachungen fordert. Siehe auch meine Beiträge vom 21.08. und 22.09.09.