Archiv für den Monat: September 2010

Niemand zweifle an PoliScanSpeed!

Wenn ein Partner und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter einer großen internationalen Wirtschaftskanzlei in die Niederungen des zulässigen Umfangs bußgeldrichterlicher Kontrolle von Meßgeräten bei Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen einsteigen, und dies an prominenter Stelle in der NJW 2010, 2917 (Ergebnis:  bei standartisiertem Meßverfahren nur ausnahmsweise und:  „kein Gebot der Rechtsstaatlichkeit, alle Einzeldaten der Meßdatei, mit denen sich der geräteinterne Rechenvorgang des Meßgerätes überprüfen läßt, offfenzulegen, um den Messvorgang detailliert zum Beweis der Richtigkeit des gewonnenen Meßergebnisses „nachrechnen“ zu können“ (a.a.O., S. 2920) und dabei eine Entscheidung des Amtsgerichts Dillenburg (DAR 2009, 715) auf’s Korn nehmen, fragt sich der verkehrsrechtlich interessierte Leser: cui bono? Hat etwa die NJW diesen Artikel motiviert (und wenn ja: warum?) oder ist einer der Autoren vielleicht mit einer genervten Bußgeldrichterin verheiratet oder ist der Artikel doch nur rein altruistisch im Sinne des Bestrebens, die Justiz vor vermeidbarer Belastung zu bewahren? Wer weiß das schon?

Nachtrag: In NJW-Aktuell 50, 14 berichtete eine Autorin wohlwollend über den ROLAND Rechtsreport eines renommierten Forschungsinstitutes, der von dem ROLAND-Rechtsschutzversicherer in Auftrag gegeben worden war, was man ihm auch anmerkte. Erst auf einen Leserbrief von Rechtsanwalt Schons aus Duisburg in der NJW 52/2010 mußte die NJW eingestehen, daß die Autorin Pressesprecherin der ROLAND-Rechtsschutzversicherung war und ist, was der NJW auch bekannt war. Der Hinweis auf ihre Tätigkeit sei „versehentlich“ unterblieben. 23.12.21010

Verteidiger verteidige!

Eine Selbstverständlichkeit. Manchmal bedeutet dies einen Rückzug. Vor allem dann, wenn ein nicht vorbestrafter Heranwachsender angeklagt ist, in einer Disco drei Leute vermöbelt zu haben (u.a. ein Nasenbeinbruch), die ihn gut von der Schulzeit her kannten. Die waren erst zur Wundversorgung ins Krankenhaus und sind dann zur Polizei zur Anzeigeerstattung.
Die Freundin des Angeklagten ging dort ein paar Wochen später in Begleitung des späteren Verteidigers des Angeklagten  als Zeugin hin. Sagte aber nicht aus, „um sich selbst nicht zu belasten“.
In der Hauptverhandlung vom 27.09.10 in Groß-Gerau stritt der Angeklagte nicht ab da gewesen zu sein. Aber er sei angegriffen worden. Er habe die ganze Zeit seine Hände hoch in die Luft gehalten, was er auch sogleich demonstriert. Weiterlesen

Richtervorbehaltsdämmerung bei der Blutprobe

Nachdem die Strafverfolger den Richtervorbehalt in § 81a StPO beharrlich ignoriert hatten und seine Befolgung vom BVerfG (zuletzt NJW 2010, 2864) eingefordert werden mußte, hat sich die Praxis damit zwar abgefunden, erhebt nun aber an den Gesetzgeber die Forderung, den Richtervorbehalt einfach zu streichen (so RiOLG Dr. Jens Peglau, NJW 2010, 2850 (2852). Es handele sich um einen „minimale(n) körperliche(n) Eingriff“ (a.a.O.), der keines Richtervorbehaltes bedürfe.

Nachtrag vom 08.10.10: Burhoff hat den Begriff der Richtervorbehaltsdämmerung aufgenommen und hierzu in Bezug auf eine niedersächsiche Gesetzesinitiative berichtet.

Wiederbeschaffungswert brutto/netto, 19 % oder 2 % Steuer?

Versicherer zahlen im Haftpflichtschadensfall bei Abrechnung auf Totalschadensbasis häufig nur den Wiederbeschaffungswert netto, auch wenn er im Gutachten brutto ausgewiesen ist. Bei einem Wiederbeschaffungswert von 3000 € sind das fast 500 € Unterschied. Bei älteren Fahrzeugen geschieht dies, wie im Beispielsfall, meist zu Unrecht. Solche Fahrzeuge sind meist nur differenzbesteuert. Das sind 2 % und nicht 19 %. Bei Beauftragung des Schadensgutachtens sollte daher bei dem Sachverständigen die Problematik angesprochen werden. Findet sich die Differenzbesteuerung im Schadensgutachten, wird der Haftpflichtversicherer Mühe haben, den Wiederbeschaffungswert einfach um 19 % zu kürzen.

Drei Fahrstreifen für beide Richtungen

Der Unfall im Darmstädter Gewerbegebiet beschäftigt nun die zweite Instanz. An der Unfallstelle sind drei Fahrstreifen vorhanden, die mit Leitlinien voneinander getrennt sind. Der Kläger kam aus dem Hornbach, auf beiden äusseren Fahrstreifen war Stau. Auf dem mittleren fuhr der Beklagte. Dort kollidierte dieser mit dem Kläger, der sich -links abbiegend- bis zur Mitte vorgetastet hatte. Die erste Instanz sah das Vorfahrtsrecht des Beklagten verletzt. Gleichwohl liege Unabwendbarkeit nicht vor, aber der Kläger könne nur 20 % beanspruchen.
Die Berufung wird in seine Überlegungen auch § 7 Abs. 3a StVO einzustellen haben. Danach darf auf dreistreifigen Straßen auf dem mittleren nicht überholt werden. Er darf explizit nur zum Linksabbiegen benutzt werden.

BGH zu fiktiven Reparaturkosten markengebundener Fachwerkstätten

Meinen Artikel vom Februar 2010 ergänzend liegt Unzumutbarkeit auch dann vor, wenn die gleichwertige Billigwerkstatt nicht mit marktüblichen Preisen operiert,die auf  Sondertarifen auf der Grundlage vertraglicher Beziehungen mit dem Versicherer des Schädigers beruhen (BGH-NJW 2010, 2725).

Der schöne Schein

In der neuen NJW sucht eine „RA-Partnerschaftsgesellschaft“: „Professor/-in als Namenspartner“.
Es sei „RA-Zulassung erforderlich“. Weiter: „Keine wesentl. Mitarbeit, Haftungsfreistellung, Pauschalhonorar.“
Sicher wird man einen finden. Und die Rechnung wird aufgehen. Das rechtsuchende Publikum wird darauf reinfallen. Blendwerk!

Befangene Schöffin bringt „Kinderporno-Prozeß“ in Darmstadt zum platzen

Es gab Schöffengerichts- und Strafkammervorsitzende, die bei Beratungen mit Verteidiger und Staatsanwalt außerhalb der Hauptverhandlung darauf Wert legten, daß dies ohne die Schöffen geschehe. Dies aus Sorge vor einem sich artikulierenden gesunden Volksempfinden oder mindestens losem Mundwerk. Der hohe Wert eines unvoreingenommenen Richters wird in der Bevölkerung oft nicht hoch genug geschätzt. Lieber ist einem ein Richter, der richtig draufhaut. Zumindest entsteht der Eindruck angesichts der Prozeßberichterstattung des Zentralorgans der Ordinary People, der Bild-Zeitung. Deren Berichterstattung über den Kinderpornotauschring-Prozeß in Darmstadt (mit Fotos nicht unkenntlich gemachter Angeklagter) sprach im Beratungszimmer ein Verteidiger an. Laut FAZ von heute hat die Schöffin dazu geäussert: „Wo sind wir denn hier? In einem Pädophilen-Prozeß. Die haben Straftaten begangen.“
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Bei hoher BAK: Abstinenz und Verkehrstherapie

Himmelreich/Halm weisen eine Vielzahl von in der Zeit zwischen dem 1.4.09 und dem 31.3.10 ergangenen Entscheidungen nach (NStZ 2010, 492), in denen auch bei Blutalkoholkonzentrationen jenseits von 2 Promille bei nachgewiesener Abstinenz und der Teilnahme an einer IVT-HöVerkehrstherapie von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen und teilweise der Führerschein im Termin wieder ausgehändigt oder allenfalls ein (deklaratorisches) Fahrverbot verhängt worden ist.

Rentner kann Bußgeld nicht zahlen – 20 Tage Gefängnis

Gegen den Betroffenen wurde aus einem Bußgeldbescheid (1000 € wegen wiederholter Trunkenheitsfahrt) vollstreckt. Die Staatsanwaltschaft drohte Erzwingungshaft an. Der Betroffene legte einen Rentenbescheid (< 1000 €/mtl.) vor und teilte mit, er müsse sein Haus abbezahlen (> 700 €) und habe i.ü. die „E.V.“ abgegeben.
Das Amtsgericht Darmstadt ordnete daraufhin 20 Tage Erzwingungshaft an.
Die Angaben zum Einkommen seien unglaubhaft, von 250 € könne man nicht leben (die Notwendigkeit danach zu fragen, wie man mit 250 € leben kann, wurde nicht erkannt). Der Betroffene könne eine Weile die Tilgung des Hausdarlehens aussetzen. Eine Rate von mtl. 100 € sei ihm sicher möglich.
Die sofortige Beschwerde führte aus, daß er von seiner Freundin, mit der er zusammen lebt, und seiner Mutter, die im Nachbarhaus wohnt, in Naturalien unterhalten wird und daß es nicht darauf ankomme, was faktisch möglich sondern was rechtlich nötig ist. Über das Rechtsmittel ist noch nicht entschieden.

Nachtrag vom 08.10.10: Die Beschwerdekammer des Landgerichts Darmstadt hat den Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt, mit dem Erzwingungshaft angeordnet worden war, mit Beschluss vom 01.10.10 aufgehoben.