Archiv für den Monat: Oktober 2008

Verlängerung der Fahrerlaubnissperre durch Berufung

Das Gesetz sieht die Entziehung der Fahrerlaubnis (FE) vor, wenn der Beschuldigte charakterlich zum Führen von Kfz ungeeignet ist. Dies ist regelmäßig bei Trunkenheitsfahrten und bei Fahrerflucht mit höherem Sach- oder Personenschaden der Fall. Wird die FE im Urteil entzogen, nachdem sie, wie meist, zuvor schon vorläufig entzogen oder der Führerschein sichergestellt war, beträgt nach dem Gesetz die Mindessperrfrist 3 Monate. Dies gilt auch für die Berufungsinstanz, wenn diese erneut von charakterlicher Ungeeignetheit ausgeht. Hat die Berufungshauptverhandlung lange auf sich warten lassen, kann sich die Sperrfrist daher faktisch erheblich im Vergleich zu der der ersten Instanz verlängern. Dies stellt keinen Verstoß gegen das Schlechterstellungsverbot dar.

Strafrabatt wegen Verfahrensverzögerung in Bußgeldsachen?

Das OLG Düsseldorf (NZV 2008, 534) hat dies abgelehnt.
In Strafsachen wird unterstellt, daß eine überlange (rechtsstaatswidrige) Verfahrensdauer zu einer Reduzierung der Strafe führen kann bzw. muß, wobei bei vollstreckbaren Freiheitsstrafen auszusprechen ist, daß ein bestimmter Teil als vollstreckt gilt. 
In Bußgeldsachen soll dies wegen der geringeren Eingriffsintensität nur bei Verzögerungen um ein Vielfaches der Verjährungsfrist gelten, also z.B. nicht bei Verzögerung um ein Jahr zur Abfassung einer nur einseitigen Antragsschrift der GenStA.

Fall Görgülü II

Ich würde, entgegen dem Kommentator, keinen NS-Vergleich oder besser: Vergleich mit der die NS-Zeit „aufarbeitenden“ Justiz im Nachkriegsdeutschland ziehen. 
Die Vorgänge im OLG Naumburg zeigen etwas anderes aber ganz deutlich: Dieser „Freispruch im Zwischenverfahren“ kam deswegen zustande, weil an der unsäglichen Entscheidunge des OLG Naumburg (Familiensenat) drei  Richter mitgewirkt hatten. Weiterlesen

Fall Görgülü I – Rechtsbeugung der OLG-Richter bleibt ungesühnt

Der Fall Görgülü, in dem ein Vater jahrelang um seinen Sohn kämpfte, der von der Mutter zur Adoption freigegeben worden war, ist nun auch forensisch weitgehend aufgearbeitet. Die FAZ hatte im Oktober berichtet, daß dem Vater des inszwischen 9jährigen Jungen das Sorgerecht übertragen worden ist.
Die Richter des Familiensenates des OLG Naumburg, die entgegen den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dieses Ergebnis und bereits den Umgang des Vaters mit seinem Sohn vereitelt hatten, können ebenfalls aufatmen. In einer sofortigen Beschwerdeentscheidung des Strafsenates des OLG Naumburg wurde nun die Ablehnung der Zulassung der Anklage wegen Rechtsbeugung durch das Landgerichts Halle bestätigt (Link: http://rsw.beck.de/rsw/upload/NJW/KW_44-2008.pdf).

Anwälte und Richter

Das Kommunikationsforum für Richter und Anwälte ist eine Veranstaltung für Wohlwollende, sollte man meinen. Der große Konferenzsaal der IHK Darmstadt war so ziemlich bis auf den letzten Platz besetzt. Vor mir saßen einige junge Richterinnen. Wenn ein Anwalt sich kritisch über Richter äusserte, steckten sie ihre Köpfe zusammen und tuschelten. Oder sie blickten sich vielsagend mit hochgezogenen Augenbrauen an und ließen die Lider klimpern. Auch Kopfschütteln war zu beobachten. Die Arme verschränkt, die Beine übereinander geschlagen. Weiterlesen

Reform der Untersuchungshaft

 Im Rahmen der Reformüberlegungen zum Untersuchungshaftrecht hat der Strafrechtsausschuß des Deutschen Anwaltverein unter anderem folgende Reformvorschläge erarbeitet:

Kein 23stündiger Zelleneinschluß mehr, wie heute üblich. Die Untersuchungsaft soll sich, der Unschuldsvermutung Rechung tragend, vom Leben in Freiheit nur unterscheiden, soweit es zur Durchführung der Untersuchungshaft und des Zusammenslebens in einer Anstalt erforderlich ist. Die Haftgründe der Tatschwere und Wiederholungsgefahr sollen abgeschafft werden. Die elektronische Überwachung soll ausdrücklich zur Aussetzung der Vollstreckung in § 116 StPO aufgenommen werden. Dem Vollzug der Untersuchungshaft sollen engere zeitliche Grenzen gesetzt werde. Bei Untersuchungshaft soll stets ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegen. Der Verteidiger soll im Rahmen der Öffnungszeiten stets uneingeschränkter Zugang zum Mandanten haben, auch nicht durch besondere Besuchserlaubnis beschränkt. Das Akteneinsichtsrecht soll nicht durch die Gefährdung des Ermittlungsergebnisses einschränkbar sein (Link).

Strafbefehl und Tagessatzhöhe

Der Strafbefehl ist der Bußgeldbescheid des Strafverfahrens. Legt man nicht innerhalb von zwei Wochen Einspruch ein, wird er rechtskräftig. Meist werden dort Geldstrafen verhängt. Die Geldstrafe setzt sich aus einer Tagessatzanzahl und Tagessatzthöhe zusammen. Die Anzahl, z.B. 30, entspricht einer alternativ zu verhängenden Freiheitsstrafe, im Beispiel also einen Monat. Die Höhe hängt vom Einkommen ab. Das monatliche Nettoeinkommen abzüglich insbesondere von Unterhaltsverpflichtungen, wird durch 30 dividiert. So erhält man das tägliche Nettoeinkommen. Bei der Beantragung des Strafbefehls kennt die Staatsanwaltschaft oft das tatsächliche Einkommen nicht. Sie schätzt es daher regelmäßig auf 30 €/Tag. Hat man sonst gegen den Strafbefehl nichts einzuwenden, ist jedoch ein zu hohes Einkommen zugrunde gelegt, kann der Einspruch gegen den Strafbefehl auf die Höhe der Tagessätze beschränkt werden. Das Gericht kann dann ohne Hauptverhandlung in einer Art schriftlichen Verfahren die Höhe der Tagessätze neu festsetzen.

Unangeschnallte Kinder

Diese Unsitte verbreitet sich auch bei uns zunehmend. Abgesehen von Bußgeldern und Punkten in Flensburg sollten die sorglosen Eltern und Großeltern die strafrechtlichen Konsequenzen bei einem Unfall bedenken. Körperverletzung, schwere Körperverletzung und Totschlag, jeweils durch Unterlassen, kommen in Betracht, je nach dem, was dem Kind passiert ist. Mehrjährige Freiheitsstrafen sind möglich. Davon abgesehen: wer will damit leben, daß seinem Kind etwas passiert, woran man selbst Schuld hat?

Abschied von der schadensgleichen Vermögensgefährdung

Die Rechtsprechung des BGH, insbesondere des für Hessen, das Rheinland und Thüringen zuständigen 2. Strafsenates, scheint sich von der Strafbarkeit der bloßen Vermögensgefährdung bei Betrug und Untreue verabschieden zu wollen. Noch auf Reichsgerichtlicher Rechtsprechung beruht die Annahme, daß die Herbeiführung einer bloßen Vermögensgefährdung einen Vermögensnachteil darstelle, wenn der Vermögensverlust zwar nicht eingetreten ist, jedoch nahe liegt. Thomas Fischer, Richter im 2. Senat und Kommentator des weitverbreitesten Strafgesetzbuch-Kommentars, schreibt dazu: „Die Definition ist freilich bemerkenswert ungenau und zudem widersprüchlich: Die Erklärung, ein Nachteil sei gegeben, wenn mit einem Nachteil zu rechnen ist , formuliert symptomatisch den Ursprung eines zu Verwirrungen führenden Fehlverständnisses. Sie ist, wörtlich genommen, mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar“ (Fischer-StraFo 2008, 269). Das sind deutliche Worte.

Der Pflichtverteidiger

Er ist kein Strafverteidiger zweiter Klasse, zumindest dann, wenn man ihn sich selbst ausgesucht hat. In gravierenden Fällen schreibt das Gesetz den Verteidiger vor. Bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht; bei Verbrechen (Straftaten mit Mindeststrafe von 1 Jahr); wenn mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr zu rechnen ist; in bestimmten Fällen, bei denen Untersuchungshaft vollzogen wird; wenn sonst ein schwerwiegender Grund vorliegt, z.B. in größerem Umfang Bewährungswiderruf zu befürchten ist. Der Anwalt, den man sich ausgesucht hat, kann dann Pflichtverteidiger werden, was praktisch nur bedeutet, daß dieser seine Kosten bei der Staatskasse abrechnen kann.

Zu warnen ist vor Pflichtverteidigern, die vom Gericht ausgesucht wurden. Ist nämlich ein Verteidiger vorgeschrieben, fragt das Gericht an, welchen Anwalt man haben will. Der kann von überall her sein, muß also nicht dort seinen Sitz haben, wo das Gericht ist, wenn zu diesem Anwalt bereits ein Vertrauensverhältnis besteht. Reagiert man auf die Anfrage des Gerichts nicht, sucht der Richter einem den Anwalt aus. Ob er dabei denjenigen nimmt, der für einen selbst der Beste ist oder eher denjenigen, mit dem er gut auskommt und der ihm wenig Arbeit und Schwierigkeiten macht, kann sich jeder selbst beantworten.