Archiv für den Monat: November 2010

Aufhebung Bußgeldbescheid durch Strafurteil

Kommt oft vor und wird gerne übersehen:
Bußgeldbescheid über 500 € und Fahrverbot wegen Verstoßes gegen die 0,5 Promillegrenze oder Drogenfahrt. Rechtskräftig.
Später: Strafverfahren wegen gleichzeitigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Der Bußgeldbescheid muß nun gem. §§ 86, 21 OWiG im Strafurteil aufgehoben werden!

Alkoholberechnung

Ein 80 kg schwerer Mann fängt um 20.00 Uhr an Bier zu trinken.
Er trinkt in der halben Stunde jeweils 0,5 l, also sechs Bier bis um 23.00 Uhr. Erst mit diesem sechsten Bier hat er die absolute Fahruntüchtigkeit erreicht. Wenn er jetzt noch 1/2 Stunde wartet, ist diese Grenze wieder unterschritten.
20.30 h: 1. Bier getrunken (20g Alk.) 0,21 %o
21.00 h: 2. Bier getrunken (40g Alk.) 0,42 %o
21.30 h: 3. Bier getrunken (60g Alk.) 0,63 %o
22.00 h: 4. Bier getrunken (80g Alk.) 0,84 %o
22.30 h: 5. Bier getrunken (100g Alk.) 0,98 %o
23.00 h: 6. Bier getrunken (120g Alk.) 1,19 %o

Dabei ist von folgenden Berechnungsgrundlagen auszugehen: Mann 80 kg, Abbau/h: 0,15 %0, Resorptionsdefizit 20%. Die Widmark-Formel lautet:

Alkohol in Gramm/Gewicht x Reduktionsfaktor = BAK in %0
Reduktionsfaktor beim Mann: 0,7 und bei der Frau: 0,6

Siehe auch meinen Beitrag vom 25.11.2009.

Kein § 24a StVG, wenn Btm-Konsum lange vor Fahrtantritt?

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 20.08.10 (NJW 2010, 3526) die Verurteilung wegen eines Fahrens unter Cannabis-Einfluss zu Bußgeld und Fahrverbot aufgehoben und zurückverwiesen. Die Urinkontrolle hatte einen THC-Wert von 4,6 ng/ml ergeben.
Die Verurteilung scheiterte an den mangelhaften Feststellungen zur inneren Tatseite. Der Betroffene muß zumindest erkannt haben können, daß er noch unter Rauschmittelwirkung stand. Das ist allerdings nur bei kurzen Zeitspannen swischen Konsum und Fahrtantritt der Fall. Bei Zeitspannen von ca. 24 Stunden kann nicht regelmäßig davon ausgegangen werden, daß der Betroffene sich einer etwaigen Rauschwirkung bewußt ist.

Die wichtigsten Promillegrenzen im Straßenverkehr

Für Fahrerlaubnisinhaber innerhalb der Probezeit und unter 21jährige besteht generelles Alkoholverbot.

Bei 0,5 Promille Atemalkohol liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, die beim Ersttäter neben der Geldbuße mit einem einmonatigen Fahrverbot bewehrt ist.

Ab 1,1 Promille (absolute Fahruntüchtigkeit) liegt die Straftat der Trunkenheit im Verkehr vor. Die Fahrerlaubnis wird entzogen und die Verwaltungsbehörde darf nicht früher als nach sechs Monaten eine neue Fahrerlaubnis erteilen.

Bereits ab 0,3 Promille kann relative Fahruntüchtigkeit und damit eine Straftat vorliegen, wenn sich dies aus den Umständen, insbesondere feststellbaren Ausfallerscheinungen, ergibt.

Ab 1,6 Promille BAK (aber auch bei 0,8 mg/l AAK) wird die Fahrerlaubnis erst wieder erteilt, wenn sich zuvor erfolgreich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterzogen worden ist.

Dasselbe gilt allerdings auch schon bei wiederholten Alkoholauffälligkeiten, wobei hier schon zwei Fälle von mehr als 0,5 Promille, also Ordnungswidrigkeiten, genügen.

Aktuelles zum Strafrecht in der ZRP – eine Fundgrube

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift für Rechtspolitik ist eine Fundgrube für strafrechtspolitische Themen. Der Kollege Thomas Scherzberg stellt  sich gegen eine Reform der Wiederaufnahmeregeln zu Ungunsten des Angeklagten (S. 271). Der Kollege Klaus Leipold hat keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Ausweitung des Strafbefehlsverfahrens in Fällen bis zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird (S. 243). Heribert Ostendorf beschäftigt sich mit den rechtspolitischen Folgen der Entscheidung des EGMR zur Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht (S. 245). Thomas Fischer resümiert ein Jahr Absprache-Regelung (S. 249). Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer zeigt Wege zur Bekämpfung von Menschenhandel und Prostitution auf (S. 253). Kritische Anmerkungen kommen von Hannes Ludyga zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen der staatlichen Heroinabgabe (S. 258) und Gisela Friedrichsen läßt einen Zwischenruf zu der durch den Kachelmann-Prozeß auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordenen „Litigation-PR“, der Prozeßführung über Medien, vernehmen (S. 263).

Strafkammerbesetzung mit drei Berufsrichtern

Der 5. Strafsenat des BGH rügt in seiner Entscheidung vom 7.7.10 (5 StR 555/09), veröffentlicht in StraFo 2010, 466, „dass die Rechtspraxis, soweit ersichtlich, den gebotenen sensiblen Umgang der großen Strafkammern mit der Besetzungsreduktion derzeit nicht widerspiegelt, anders ist ihre oftmals überwiegende, bei manchen Landgerichten ausschließliche Inanspruchnahme nicht erklärlich“  (a.a.O. S 467). In der Hauptverhandlung erster Instanz war die Besetzungsrüge gem. § 76 II S.1 GVG erhoben worden, weil das Verfahren umfangreich und schwierig war, die Kammer aber dennoch nur mit zwei Berufsrichtern besetzt war. Der BGH hat deren Urteil auf die Besetzungsrüge hin aufgehoben und zurückverwiesen. Er hat angemerkt, daß regelmäßig ab 10 erwarteten „Verhandlungstagen von der Mitwirkung des dritten Berufsrichters grundsätzlich nicht abgesehen werden darf“.

Rechtsanwältin Manuela Maron verstorben

Wie ich erst heute erfahren habe, ist die Rüsselsheimer Rechtsanwältin Manuela Maron bereits am 14. Juli 2010 einer heimtückischen Krankheit erlegen.
Ich werde sie als engagierte Kollegin in Erinnerung behalten, die sich vor allem für Kriminalitätsopfer eingesetzt und auf bewundernswerte Weise Beruf und Familie miteinander in Einklang gebracht hat.
Sie wurde nur 36 Jahre alt.
Sie hinterlässt Ehemann und ihren kleinen Sohn.

Offener Hosenlatz

Das hessische Polizeiformular „Bericht zu auffälligen Merkmalen insbesondere z.B. auf Alkohol und Drogen“ gibt dem Polizeibeamten vielfältige Ankreuzmöglichkeiten zu Beobachtungen beim Betroffenen aus Anlaß von „Anhalten oder Antreffen“, etwa zum Zustand der Kleidung  – ob geordnet oder nachlässig  – usw.
Dass bei einer Hand voll Möglichkeiten zum Ankreuzen ausgerechnet: „Hosenlatz nicht geschlossen“ mit einem eigenen Kästchen zum „an-X-en“ geadelt wird, überrascht dann doch. Scheint häufiger vorzukommen, als gemeinhin angenommen.

Vom Pflichtverteidiger zum Angeklagten

Die Lokalpresse berichtet heute über die Hauptverhandlung gegen den Anwalt, der angeklagt war wegen Untreue, Insolvenzverschleppung u.a.
Ich hatte hierzu bereits am 11.04.10 geschrieben. Am Montag wurde er zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Jahrelang war er am hiesigen Amtsgericht derjenige, den man bevorzugt zum Pflichtverteidiger bestellte. Es wurde ein Näheverhältnis gepflegt, das deutlich über das dienstlich veranlasste Maß hinausging, etwa durch regelmäßig gemeinsam eingenommene Mittagsmahlzeiten. Daß hierdurch die Insolvenzverschleppung erst möglich wurde, hat freilich nur der Anwalt gewußt.  Den Strafrichtern sollte der Fall aber dennoch zu denken geben. Weshalb bedienen sie bestimmte Anwälte bevorzugt mit Pflichtverteidigungen? Weshalb dient sich ein Anwalt zu diesem Zweck ihnen an? Wie abhängig ist er von derartigen Mandaten? Wem dient er, dem, dem er beigeordnet wurde oder dem, der ihn beigeordnet hat? Letzteres liegt näher, denn er will ja auch in Zukunft versorgt werden.
Im Strafverfahren gegen den Anwalt spielten solche Fragen naturgemäß keine Rolle.
Der Fall zeigt einmal mehr, daß der Modus de lege lata über die Beiordnung von Pflichtverteidigern für Mißbrauch und sachwidrige Entscheidungen Raum läßt. So, wie der Mißbrauch von Verteidigerrechten durch einzelne zu Restriktionen geführt hat, die alle und damit auch die seriösen Strafverteidiger betreffen, muß es auch beim Mißbrauch von richterlichen Freiheiten sein. Es bedarf klarer Regeln und zwar im Gesetz. Mit der regelmäßigen Verpflichtung von Kumpeln und willfährigen Anwälten zu Pflichtverteidigern wird der Funktionsfähigkeit und dem Ansehen der Strafjustiz schwer geschadet. Und mache mir keiner weiß, es handele sich um einen Einzelfall.