Schlagwort-Archive: Absprachen im Strafprozeß

Thomas Fischer (u.a. Mitglieder des 2. Senats): Die Strafprozeßordnung ist …

„…das Gebilde einer Rechtsordnung …, in deren alte Formen über Jahrzehnte ein formloser Brei eingewandert ist, der sie von innen zersetzt hat, und die ihre formale Kraft nunmehr nach Maßgabe von Zweckmäßigkeit oder jeweiliger Verfahrens-Macht vorgaukelt. Er trägt den Namen Opportunität, Effektivität, Beschleunigung und Absprache.“

Fischer, Eschelbach, Krehl, Zehn-Augen-Prinzip, StV 2013, 395 (399)

Zum Kuhandel

Ein Berliner Kollege berichtet von einem Fahrerfluchtfall, der mich an den kaiserslauterner-Nötigungsfall erinnert, über den ich am 26.04.10 berichtet hatte. Über die „knappe Ressource Recht“ wird überall geredet (z.B. Clemens Basdorf auf der Feier zum 30jährigen Bestehen des „Strafverteidigers“ laut FAZ vom 20.05.10).  Aber jetzt ist ja eh alles egal, seit der Handel um das Recht den Segen des Gesetzgebers hat (siehe hierzu nur Schünemann, Strafverfahrensrecht 17, 7). Klar sind wir hier nicht im Bereich der Urteilsabsprachen sondern des Opportunitätsprinzips. Aber mit der Ausstrahlung des § 257c StPO wird Detlef Deal aus Mauschelhausen (Weider) hier wie da bisher ganz ungeahnte Triumphe feiern. Mal ist’s günstig für den Angeklagten, mal nicht. Wen schert’s? Und die Fristenlösung bei Beweisanträgen wird ihr übriges tun.

Absprachen, Anwaltsvergütung und bunte Hemden

Am 25. Oktober 2008 hatte ich über das erste sogn. Kommunikationsforum für Anwälte, Richter und Staatsanwälte, das von der Rechtsanwaltskammer veranstaltet wird, berichtet. Anfang Dezember fand es nun wieder statt. Es sollte sich mit den neuen gesetzlichen Regeln zu Absprachen im Strafverfahren befasst werden. Ein Thema von großer praktischer Bedeutung und intensiver Diskussion in Fachkreisen.
Die Eingangserklärungen kamen von einer Staatsanwältin und einem Rechtsanwalt.
Welche Kriterien es waren, die zur Auswahl des letzteren geführt haben, ist nicht transparent geworden. Aufgefallen war er vor allem durch seine Vorliebe für ziemlich bunte Hemden, den konsequenten Verzicht auf „Langbinder“ oder dessen Aliud, auch vor Gericht, und eine peinliche Philippika in Gestalt eines Leserbriefs gegen einen Journalisten des Darmstädter Echo, der es gewagt hatte, so etwas wie Kritik an der Verhandlungsführung des früheren Vorsitzenden der Schwurgerichtkammer in Darmstadt zu üben. Weiterlesen

Detlef Deal aus Mauschelhausen…

… unter diesem Pseudonym hatte Hans-Joachim Weider im StV 1982, 545 die Fachdiskussion zu den Absprachen im Strafprozeß begonnen. Jetzt ist die Absprache auch gesetzlich legitimiert (BGBl I 2009, 2353). Kernvorschrift ist § 257c StPO. Danach kann sich „über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigt werden“ (Abs. 1). Allerdings nur über die Rechtsfolgen, nicht über den Schuldspruch und über Maßregeln. Bestandteil der Verständigung soll  ein Geständnis sein, muß aber nicht (Abs. 2). Abs. 3 regelt das Verständigungsprozederer und Abs. 4: wann das Gericht sich nicht mehr an die Absprache halten muß, nämlich wenn Wesentliches übersehen wurde oder sich erst später ergeben hat und die ausgedealte Strafe nun unzureichend erscheint und auch dann, wenn das Prozessverhalten des Angeklagten nicht der Prognose des Gerichts bei dem Deal entspricht. Oh je!
Aber immerhin ist das Geständnis des Ageklagten dann nicht mehr verwertbar (Abs. 4).

Schünemann hatte in der ZRP 2009, 104 zum nun Gesetz gewordenen Entwurf ausgeführt: es „würde die Zerstörung der rechtsstaatlich-liberalen Struktur des deutschen Strafverfahrens bringen und zugleiche Deutschland international in die Provinzialität zurückwerfen“.
Thomas Fischer hatte in der StraFo 2009, 177 (188) ausgeführt: „Das heutige Absprache-Unwesen ist eine Schwäche der Strafverteidigung, aber eine Schande der Justiz. Diese trägt die Verantwortung. Der Gesetzgeber sollte sich nicht, und zu allerletzt aus fiskalischen Überlegungen, zum Vollstrecker unklarer Interessen machen. Der jetzt beabsichtigte Schritt würde sich für lange Zeit nicht mehr rückgängig machen lassen.“

Rechtswidriger „Vergleich“ im Strafprozeß: Raub statt Mord

Der Bundesgerichtshof hatte am 05.12.2008 über eine unzulässige Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Darmstadt (Schwurgericht) zu entscheiden und hat obiter dicto angemerkt (2 StR 495/08): 

„Anklage und Eröffnungsbeschluss legten den Angeklagten einen gemeinschaftlich begangenen Mord zur Last. Das Landgericht hat in der  Hauptverhandlung Anlass gesehen, einen rechtlichen Hinweis auf die Möglichkeit des Vorliegens weiterer Mordmerkmale zu erteilen.

Nach den Feststellungen der Urteilsgründe war den Angeklagten bewusst, dass das von ihnen zur Durchführung des Raubs gefesselte und geknebelte Tatopfer ersticken konnte; „dies war ihnen aber gleichgültig, da sie sich einen zeitlichen Vorsprung verschaffen wollten“ (UA S. 7). 

Die Verurteilung nur wegen Raubs mit Todesfolge, bei fahrlässiger Verursachung des Todes, ist unverständlich und offensichtlich rechtsfehlerhaft. Sie beruht auf einer Verfahrensabsprache, deren Inhalt der Vorsitzende nach dem Protokoll der Hauptverhandlung wie folgt dargestellt hat:

„Vor Beginn der Hauptverhandlung fand ein Gespräch über eine vorzeitige Beendigung des Verfahrens statt.

Dies mag überraschen. Gleichwohl war dies bereits zu Beginn des Verfahrens angezeigt, weil die Aktenlage eine solche Vorgehensweise aufdrängte, dies im Hinblick auf die geständigen Einlassungen beider Angeklagter.

Unter Berücksichtigung dessen konnte zwischen allen Verfahrensbeteiligten und der Kammer die gebotene zügige Beendigung des Verfahrens ins Auge gefasst werden im Falle einer Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe gegen beide Angeklagte in Höhe von höchstens 12 Jahren und einer Unterbringung nach § 64 StGB, dies unter der Voraussetzung, dass sich beide Angeklagte des mittäterschaftlich begangenen Raubes mit Todesfolge gem. § 249, 250, 251 StGB schuldig gemacht haben.“

Im Anschluss an diese Erklärung des Vorsitzenden ließen die Angeklagten erklären:

„Wir sind mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden. Das Urteil ist schmerzhaft für uns, aber als Sühne für das von uns begangene Unrecht in dieser Höhe angemessen.“

Der Schuldspruch und der Rechtsfolgenausspruch von zwölf Jahren Freiheitsstrafe entsprachen den übereinstimmenden Anträgen von Staatsanwaltschaft, Verteidigern und Nebenklägervertreter.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Absprache, die auf einen „Vergleich“ über den Schuldspruch gerichtet ist, rechtswidrig und unzulässig (vgl. BGHSt 43, 195, 204; 50, 40, 50; BGH, Urt. vom 16. Juni 2005 – 3 StR 338/04, bei Becker NStZ-RR 2007, 2). Weiterlesen

Landgericht Bautzen: Verzicht auf Verfahrensrechte oder doppelte Strafe

 
Der Prozess gegen Sven G. aus Kamenz wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ist geplatzt.

Aufgrund eines Todesfalles in der Familie eines Mitgliedes der Strafkammer musste der Prozess entgegen der gesetzlichen Regelung länger als drei Wochen unterbrochen werden. Heute sollte der Prozess dennoch unter Verzicht auf die Rüge der überlangen Unterbrechung mit einem Geständnis des Angeklagten fortgesetzt werden, der zwischenzeitlich etwa 20 Taten der Weitergabe von Haschisch an eine unter 18-jährige Person eingeräumt hatte. Pro Tat sieht das Gesetz eine Mindeststrafe von nicht unter einem Jahr vor . Für den Fall eines umfassenden Geständnisses stellte die Kammer dem Angeklagten eine Gesamtstrafe von drei Jahren und sechs Monaten in Aussicht.

Der Angeklagte schlug das für ihn durchaus günstige Angebot aus. Der Prozess muss daher von vorne beginnen.

Der Vorsitzende der 1. Strafkammer gab dem Angeklagten zuvor deutlich zu verstehen, dass er in einem erneuten Prozess, auch unter Berücksichtigung seines Teilgeständnisses und bei gleichem Beweisergebnis wie bisher durch die Zeugenaussagen festgestellt, eher mit einer doppelt so hohen Strafe rechnen muss, da die Anzahl der festgestellten Straftaten um ein vielfaches höher festgestellt werden könnte, als die bisher von ihm selbst eingeräumten Taten.

Der Termin einer erneuten Hauptverhandlung wird nicht vor Mai 2009 festgesetzt werden können.

Im Verlaufe des Prozesses hatte der Angeklagte mehrfach die Gelegenheit sich durch ein Geständnis gemäß § 31 Betäubungsmittelgesetz Strafmilderung zu verdienen. § 31 BtMG sieht eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe vor, wenn der Täter durch freiwillige Offenbarung seines Wissens wesentlich dazu beiträgt, dass die Tat über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus aufgedeckt werden konnte.
Sein Teilgeständnis erfüllte die Voraussetzung des § 31 BtMG nicht, bestätigte jedoch seine Strafbarkeit. Weshalb der Angeklagte nun dennoch das Angebot der Strafkammer ausschlug, wird sein Geheimnis bleiben. 

Weiterführende Stichwörter hierzu wären: Sanktionsschere, Absprachen im Strafprozeß,  Befangenheit des Richters. Selten liest man unverblümter, wie wenig Verfahrensrechte wert sein können. Dem Kollegen Stefan Katzorke aus Chemnitz, der auf diese Pressemitteilung aufmerksam gemacht hat, sei Dank!

Keine Abspachen in Bochum (Fall Zumwinkel)

Heute kann man in der Presse lesen, daß die angeblichen Ergebnisabsprachen vor Beginn der Hauptverhandlung vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bochum zwischen den Berufsrichtern, der Staatsanwaltsschaft und den Verteidigern vom Gerichtssprecher dementiert worden sind. Man liest, so etwas gäbe es garnicht, Gespräche fänden zwar statt, aber nur über organisatorische Dinge, wie die Termine und eventuell wann welche Zeugen geladen werden und dergleichen. Anders könne das auch nicht sein, weil die Schöffen ja noch nicht involviert seien.
Da ist man in Bochum wohl „päpstlicher als der Papst“. Man hat fast den Eindruck, solche Absprachen seien Teufelszeug.
Sie sind, wenn die Formalien eingehalten werden, erlaubt. Natürlich müssen die Schöffen später einbezogen werden. Kaum vorstellbar, daß es solche Gespräche über ein mögliches Ergebnis ausgerechnet in Bochum nicht gegeben haben soll.