Im Sommer vorigen Jahres kam ein junger Mann zu mir, den es von Norddeutschland nach Südhessen „wegen der Arbeit“ verschlagen hatte. Er komme in einer Verkehrssache. Eigentlich habe er schon einen Anwalt in Norddeutschland beauftragt gehabt, dem sei die Sache aber „zu heiß“ zumal es ein Freund seines Vaters sei.
Gut war, daß er keine Eintragungen im VZR hatte. Schlecht war, daß ihm in den Monaten März bis Juni gleich vier Fälle vorgeworfen wurden, nämlich zwei Nötigungen, eine weitere Nötigung in Verbindung mit Straßenverkehrsgefährdung und eine Abstands-OWi. Letztere schlug mit vier Punkten, die Nötigungen mit jeweils fünf und die Straßenverkehrsgefährdung mit sieben Punkten zu Buche, insgesamt also 21 Punkte. Oder besser: hätte zu Buche geschlagen. Das hätte die Fahrerlaubnis gekostet.Im ältesten Fall, einer Nötigung, ergab schon die Akteneinsicht, daß nichts weiteres mehr veranlasst werden mußte, weil die Amtsanwaltschaft das Verfahren mit einer doch recht ungewöhnlichen Begründung eingestellt hatte.
Im zweiten Nötigungsfall mußte schon etwas mehr getan werden, nämlich mitgeteilt, daß der Beschuldigte sich nicht einlassen werde und einige Unplausibilitäten der Aussage des Belastungszeugen herausgestellt und auf das Erfordernis einer gewissen Dauer und Intensität der Nötigungshandlung (BGH St 19, 263) hingewiesen werden. Schon vier Tage danach stellt die Staatsanwaltschaft gem. § 153 StPO ein, weil es sich um einen einmaligen Fall gehandelt habe. Im Wiederholungsfall könne der Beschuldigte nicht mit weiterer Nachsicht rechnen.
Bei dem dritten Fall, dem mit Straßenverkehrsgefährdung, war der Argumentationsaufwand noch größer (mehrere Seiten) und die Staatsanwaltschaft ließ sich auch drei Monate Zeit, aber dann gab es einen glatten „170 Abs. 2“.
Blieb noch der Abstandsfall, immerhin auch mit einmonatigem Fahrverbot und vier Punkten. Über den Fall habe ich schon berichtet. Das Amtsgericht hat freigesprochen.
Wenn es dabei bleibt, nenne ich die Entwicklung insgesamt ein Wunder.
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