Eigentlich bezweckt die Einführung der Pflichtverteidigung bei vollzogener Untersuchungshaft eine Reduzierung der U-Haft-Fälle insgesamt. Der Richter soll angehalten sein, sich über deren Notwendigkeit verschärft Gedanken zu machen. Kürzlich nahm ein Amtsgericht im Odenwald einen Albaner in Haft, weil der einen falschen italienischen Paß verwendet und gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen hatte und über keinen festen Wohnsitz in Deutschland verfügte. Ein anderer Richter, zuständig kraft Verordnung als Ermittlungsrichter des Bezirksschöffengerichts, bestellte dem Inhaftierten sogleich einen Pflichtverteidiger. Hiervon erfuhr der nach Anklageerhebung zuständige Strafrichter im Odenwald nichts und bestellte als Pflichtverteidigerin die Wahlverteidigerin, die sich inzwischen für den Angeschuldigten gemeldet und dies beantragt hatte. In der seit der Inhaftierung nach 51 Tagen stattfindenden Hauptverhandlung, die keine zwanzig Minuten dauerte, hatte der Angeklagte nun zwei Pflichtverteidiger zur Seite. Er wurde zu einer Geldstrafe von 51 Tagessätzen verurteilt. Die Strafe ist durch die verbüßte U-Haft vollstreckt.
Der Richter, der auch den Haftbefehl erlassen hatte, meinte, anders als mit Haft wäre es nicht gegangen. Immerhin habe Fluchtgefahr bestanden. Der Beschuldigte habe nun einmal keinen Wohnsitz gehabt.
Er kannte ersichtlich nicht die Vorschrift des § 127a StPO. Eine Sicherheitsleistung von einigen wenigen hundert Euro wäre dem Beschuldigten problemlos zu erbringen möglich gewesen. Er wurde nicht danach gefragt. Statt dessen hat er fast zwei Monate im Knast verbracht und die Staatskasse wird die Kosten von zwei Pflichtverteidigern zu tragen haben.
„Hiervon erfuhr der nach Anklageerhebung zuständige Strafrichter im Odenwald nichts…“ Wieso das denn nicht? Es gab doch sicherlich eine Akte…..
In der Tat gab es eine Akte. Aber da war der Beiordnungsbeschluss angeblich nicht drin. Fragen Sie mich nicht, warum nicht. Vielleicht war er auch drin und der Richter hat ihn nur übersehen. Ich habe die Akte selbst nicht gehabt. Einen Tag vor dem Termin hat mir die GSt. auf dringendes Bitten hin einen Aktenauszug per Fax übersandt. Der enthielt jedenfalls keinen Beiordnungsbeschluss.
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