Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 30. November 2007 – 2 VAs 3/06 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit das Oberlandesgericht darin eine körperliche Durchsuchung des Beschwerdeführers mit Entkleidung und Inspizierung des Anus bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt als rechtmäßig bestätigt hat. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Grenzen der Zulässigkeit körperlicher Durchsuchung bei Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt.
I.
1. Der Beschwerdeführer, von Beruf Steuerberater, wurde am 4. Februar 2005 morgens gegen 7.00 Uhr, als er seine Kinder zur Schule brachte, wegen Verdachts der Bestechlichkeit und der Untreue zum Nachteil des berufsständischen Versorgungswerkes für Rechtsanwälte festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht. Am 10. Februar 2005 wurde er aus der Haft entlassen.
2. Gegen die Art und Weise der Durchführung der Inhaftierung legte der Beschwerdeführer am 6. Februar 2006 Widerspruch ein. Neben zahlreichen Maßnahmen und Unterlassungen im Zusammenhang mit der Festnahme und dem Haftvollzug, die nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind, beanstandete er, dass er sich bei Aufnahme in die Untersuchungshaft habe entkleiden müssen. Erkennungsdienstliche Maßnahmen gemäß §§ 81a, 81b StPO seien nur zulässig, soweit sie für das Verfahren von Bedeutung seien – was hier nicht der Fall gewesen sei – und verstießen gegen die Menschenwürde.
…
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist ihrer Begründung gemäß dahin auszulegen, dass sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen allein insoweit wendet, als sie die bei Aufnahme in die Untersuchungshaft erfolgte, mit einer Entkleidung und Inspizierung des Anus verbundene körperliche Durchsuchung betreffen. So verstanden, ist sie zulässig und in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die Auslegung und Anwendung des § 119 Abs. 3 StPO durch das Oberlandesgericht verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Sie verkennt die Bedeutung dieses Grundrechts für die Beurteilung der beanstandeten Maßnahme.
a) Durchsuchungen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar (BVerfGK 2, 102 <105>). Dies gilt in besonderem Maß für Durchsuchungen, die mit einer Inspizierung von normalerweise bedeckten Körperöffnungen verbunden sind.
In Grundrechte darf nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden. Dieser allgemeine rechtsstaatliche Grundsatz gilt auch für den Vollzug der Untersuchungshaft. § 119 Abs. 3 StPO bildet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine zureichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten des Untersuchungsgefangenen (vgl. BVerfGE 34, 369 <379>; 34, 384 <395>; 35, 307 <309>; 35, 311 <316>; 57, 170 <177>). Dies gilt jedoch nur im Hinblick darauf, dass es sich um eine strikt auf die Abwehr von Gefahren für die Haftzwecke oder die Ordnung der Anstalt beschränkte Ermächtigung handelt, deren Anwendung in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 35, 5 <9>; 35, 307 <309>). Für darüber hinausgehende Eingriffe nach Maßgabe vollzugspolitischer Zweckmäßigkeiten und nicht gefahrenabwehrrechtlich begründeter Abwägungen bietet § 119 Abs. 3 StPO keine ausreichende Grundlage (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 1229/07 – www.bverfg.de).
Die Auslegung der Vorschrift hat zudem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 369 <379>; 42, 95 <100>). Voraussetzung für die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen auf der Grundlage des § 119 Abs. 3 StPO ist eine reale Gefährdung der in dieser Bestimmung bezeichneten öffentlichen Interessen (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 384 <398>; 35, 5 <9 f.>; 35, 307 <309>). Für das Vorliegen einer solchen Gefahr müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen (vgl. BVerfGE 35, 5 <10>; 42, 234 <236>; 57, 170 <177>). Die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbraucht, reicht nicht aus (vgl. BVerfGE 35, 5 <10>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 – 2 BvR 806/94 -, NJW 1995, S. 1478 <1480>, vom 20. Juni 1996 – 2 BvR 634/96 -, NStZ-RR 1997, S. 7 f., und vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 1229/07 – www.bverfg.de).
Dabei kommt es grundsätzlich auf den konkreten Einzelfall an (vgl. BVerfGE 15, 288 <297>; 35, 5 <11>); alle Umstände des Einzelfalls sind abzuwägen (vgl. BVerfGE 35, 5 <11>). Dies schließt generelle Anordnungen – auch solche, die im Prinzip für alle Untersuchungsgefangenen gelten – nicht aus. Eine über Einzelmaßnahmen im konkreten Fall hinausgehende generelle Beschränkung ist aber nur dann zulässig, wenn eine reale Gefährdung der in § 119 Abs. 3 StPO bezeichneten öffentlichen Interessen nicht jeweils durch einzelne Maßnahmen hinreichend abgewehrt werden kann (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 34, 384 <399 f.>). In solchen Fällen ist zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden, soweit dies ohne konkrete Gefährdung der in § 119 Abs. 3 StPO genannten Interessen möglich ist (vgl. BVerfGE 15, 288 <294 f.>; 34, 384 <398, 400>; 42, 95 <102>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 1229/07 – www.bverfg.de).
Den durch § 119 Abs. 3 StPO eröffneten Möglichkeiten des Eingriffs in Grundrechte des Untersuchungsgefangenen sind nach alledem auch bei voller Ausschöpfung der Generalklausel vergleichsweise enge Grenzen gesetzt (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1994 – 2 BvR 806/94 -, NJW 1995, S. 1478 <1480>, vom 19. Juli 1995 – 2 BvR 1439/95 -, NStZ 1995, S. 566 <567>, und vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 1229/07 – www.bverfg.de).
b) Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht.
Zu Recht ist das Gericht allerdings davon ausgegangen, dass das Einbringen von Drogen und anderen verbotenen Gegenständen in Justizvollzugsanstalten eine schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der jeweiligen Anstalt darstellt, die grundsätzlich geeignet ist, grundrechtseingreifende Maßnahmen – auch solche von erheblichem Gewicht – zur Abwehr dieser Gefahr auf der Grundlage des § 119 Abs. 3 StPO zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. November 2007 – 2 BvR 1136/07 -, NStZ 2008, S. 292 <293>).
Es hat jedoch weder dem besonderen Gewicht der im vorliegenden Fall berührten grundrechtlichen Belange noch den besonderen Einschränkungen ausreichend Rechnung getragen, die sich für die Zulässigkeit eingreifender Maßnahmen im Vollzug der Untersuchungshaft aus dem generalklauselartigen Charakter der Eingriffsermächtigung des § 119 Abs. 3 StPO sowie aus den Besonderheiten der Untersuchungshaft ergeben (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 35, 5 <10 f.>; 42, 95 <101 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 1229/07 – www.bverfg.de, m.w.N.).
Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, lassen sich im Haftvollzug nicht prinzipiell vermeiden. Sie sind aber von besonderem Gewicht. Der Gefangene hat insoweit Anspruch auf besondere Rücksichtnahme (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. November 2007 – 2 BvR 939/07 -, EuGRZ 2008, S. 83 <84>). Der bloße Umstand, dass Verwaltungsabläufe sich ohne eingriffsvermeidende Rücksichtnahmen einfacher gestalten, ist hier noch weniger als in anderen, weniger sensiblen Bereichen geeignet, den Verzicht auf solche Rücksichtnahmen zu rechtfertigen. Dies gilt in verschärftem Maße für Eingriffe in der Untersuchungshaft. Hier verschafft schon der Umstand, dass Untersuchungshaft nicht auf der Grundlage rechtskräftiger Verurteilung, sondern auf der Grundlage bloßen Verdachts verhängt wird (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 369 <379>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 1229/07 – www.bverfg.de), den Belangen des Gefangenen, die in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit grundrechtseingreifender Maßnahmen einzustellen sind, besonderes Gewicht. Schon von daher verbietet sich eine schematische Übertragung von für den Strafvollzug geltenden Maßgaben. Der Verweis auf Nr. 76 UVollzO (zur fehlenden rechtlichen Außenwirkung vgl. BVerfGE 15, 288 <294>; 34, 369 <379>) in Verbindung mit § 84 StVollzG ist deshalb nicht geeignet, eine ausnahmslose Anordnung von Durchsuchungen mit Inspektion von üblicherweise bedeckten Körperöffnungen bei Aufnahme in die Untersuchungshaft zu rechtfertigen.
Auf diesen unzureichenden Verweis gestützt, hat das Oberlandesgericht es versäumt, die Notwendigkeit einer allgemeinen Anordnung dieser Maßnahme anhand der hierfür geltenden strengen Anforderungen (vgl. BVerfGE 34, 369 <380>; 34, 384 <389 ff.>; 42, 95 <102>) zu prüfen und dabei die bestehenden Unterschiede zwischen der Situation des Straf- und der des Untersuchungshaftantritts zu berücksichtigen.
Bei Personen, die in Untersuchungshaft verbracht werden, können Umstände vorliegen, die den Verdacht, der oder die Betreffende könne zum Zweck des Einschmuggelns in die Haftanstalt Drogen oder andere gefährliche Gegenstände in Körperöffnungen des Intimbereichs versteckt haben, als derart fernliegend erscheinen lassen, dass hierauf gerichtete Untersuchungen, die mit einer Inspektion von Körperöffnungen verbunden sind, sich als nicht mehr verhältnismäßig erweisen. Anders als bei Verurteilten, die, wenn sie sich nicht bereits in Haft befinden, zum Haftantritt geladen werden (§ 27 StrVollstrO), kann die Festnahme eines nicht Verurteilten zur Verbringung in Untersuchungshaft so überraschend erfolgen, dass ihm für entsprechende unbeobachtete Vorkehrungen, selbst wenn er sie beabsichtigte, keine Gelegenheit bleibt. Fehlt es auch sonst an jedem Anhaltspunkt dafür, dass der Betroffene sich in der bezeichneten Weise zum Schmuggel von Drogen oder anderen gefährlichen Gegenständen präpariert haben könnte, so wird bereits die für Maßnahmen auf der Grundlage der Generalklausel des § 119 Abs. 3 StPO erforderliche Schwelle einer – nur durch Inspektion der Körperhöhlen ausräumbaren – „realen“ Gefährdung (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>; 34, 384 <398>; 35, 5 <9 f.>; 35, 307 <309>) nicht erreicht. Auch wenn nach den Erfahrungen der Vollzugspraxis mit dem Versuch, Drogen oder andere verbotene Gegenstände in die Haftanstalten einzuschmuggeln, in weitem Umfang auch über den Kreis derer hinaus gerechnet werden muss, die drogenabhängig oder wegen einschlägiger Straftaten oder entsprechenden Verdachts inhaftiert sind, ist im Übrigen ein Eingriff, der auf die Abwehr dieser Gefahr zielt, jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn konkrete Umstände des Einzelfalles ein solches Vorkommnis aus dem Bereich der Wahrscheinlichkeit rücken (vgl. BVerfGE 15, 288 <295>).
Indem das Oberlandesgericht die hierzu vom Beschwerdeführer vorgetragenen Umstände des konkreten Falles nicht nach Maßgabe dieser Grundsätze gewürdigt hat, sondern davon ausgegangen ist, die fragliche Maßnahme sei bei Antritt der Untersuchungshaft generell und unabhängig von den Umständen des Einzelfalles zulässig, hat es dem Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) nicht hinreichend Rechnung getragen.
Darüber hinaus hat das Gericht auch Möglichkeiten der milderen Ausgestaltung des Eingriffs wie die nach Auskunft der Justizbehörde üblicherweise praktizierte, das Schamgefühl weniger intensiv berührende Durchführung einer etwaigen Inspektion von Körperhöhlen durch einen Arzt oder eine Ärztin nicht erwogen.
(3. Kammer des Zweiten Senates, 04.02.09, 2 BvR 455/08)