Vom Pflichtverteidiger zum Angeklagten

Die Lokalpresse berichtet heute über die Hauptverhandlung gegen den Anwalt, der angeklagt war wegen Untreue, Insolvenzverschleppung u.a.
Ich hatte hierzu bereits am 11.04.10 geschrieben. Am Montag wurde er zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Jahrelang war er am hiesigen Amtsgericht derjenige, den man bevorzugt zum Pflichtverteidiger bestellte. Es wurde ein Näheverhältnis gepflegt, das deutlich über das dienstlich veranlasste Maß hinausging, etwa durch regelmäßig gemeinsam eingenommene Mittagsmahlzeiten. Daß hierdurch die Insolvenzverschleppung erst möglich wurde, hat freilich nur der Anwalt gewußt.  Den Strafrichtern sollte der Fall aber dennoch zu denken geben. Weshalb bedienen sie bestimmte Anwälte bevorzugt mit Pflichtverteidigungen? Weshalb dient sich ein Anwalt zu diesem Zweck ihnen an? Wie abhängig ist er von derartigen Mandaten? Wem dient er, dem, dem er beigeordnet wurde oder dem, der ihn beigeordnet hat? Letzteres liegt näher, denn er will ja auch in Zukunft versorgt werden.
Im Strafverfahren gegen den Anwalt spielten solche Fragen naturgemäß keine Rolle.
Der Fall zeigt einmal mehr, daß der Modus de lege lata über die Beiordnung von Pflichtverteidigern für Mißbrauch und sachwidrige Entscheidungen Raum läßt. So, wie der Mißbrauch von Verteidigerrechten durch einzelne zu Restriktionen geführt hat, die alle und damit auch die seriösen Strafverteidiger betreffen, muß es auch beim Mißbrauch von richterlichen Freiheiten sein. Es bedarf klarer Regeln und zwar im Gesetz. Mit der regelmäßigen Verpflichtung von Kumpeln und willfährigen Anwälten zu Pflichtverteidigern wird der Funktionsfähigkeit und dem Ansehen der Strafjustiz schwer geschadet. Und mache mir keiner weiß, es handele sich um einen Einzelfall.

5 Gedanken zu „Vom Pflichtverteidiger zum Angeklagten

  1. Emanuel Schach

    In der Tat dürfte es eher der Regelfall sein, dass „pflegeleichte“ Verteidiger beigeordnet werden, wenn das Gericht die Auswahl hat. Fragt man Richter, geben die allerdings gerade die Funktionsfähigkeit der Strafjustiz als Grund dafür an. So unterschiedlich sind die Sichtweisen. Oder sind es die Vorstellungen davon, wie Strafjustiz funktionieren sollte?

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  2. Dante

    Immer die gleichen Diskussionen, die ich immer wieder nicht nachvollziehen kann. In meiner strafrichterlichen Praxis ist es die absolute Ausnahme, dass bei der rechtlich zwingend erforderlichen Anhörung des Betroffenen kein Anwalt des Vertrauens benannt wird.

    Dieser wird auch stets zum Pflichtverteidiger bestimmt. Das Problem dürfte sich daher doch arg in Grenzen halten.

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  3. flauaus Beitragsautor

    Sie irren. Denken Sie an junge Heranwachsende, schlecht deutsch sprechende Ausländer, Drogenabhängige, Wohnsitzlose, überforderte frisch Inhaftierte. Und denken Sie an die unselige Praxis, daß der Beschuldigte/Angeschuldigte/Angeklagte nicht gefragt wird sondern gleich der Wunschverteidiger des Richters beigeordnet wird. Auch hierfür kenne ich zahlreiche Beispiele. Mag sein, daß dergleichen bei Strafkammern selten bis gar nicht vorkommt. Aber beim Strafrichter und selbst in Schöffensachen ist das nicht selten usus.

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  4. RA Neldner

    @Dante: Alle Achtung, wenn das bei Ihnen so ist. Das Problem wäre tatsächlich in der Praxis kaum relevant, wenn lesbare Schreiben des Gerichts an die Angeschuldigten erfolgreich mit angemessenen Fristen zur Benennung eines Verteidigers verbunden würden. Das ist eher die Ausnahme.
    Die Regel sind kaum verständliche Schreiben und eine 7-Tages-Frist, bei der nicht einmal aus dem Schreiben heraus klar ist, ob sie ab dem Datum des Schreibens oder dem Zustellungsdatum gelten soll. (Für ersteren Fall ist die Frist bei Zugang des Schreibens zudem regelmäßig abgelaufen.) Unter diesen Umständen ist die Hemmschwelle für einen Nicht-Juristen leider ziemlich hoch, zu einem Anwalt zu gehen.

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  5. Pingback: Nur böse Anwälte? | www.r24.de

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