Archiv der Kategorie: blog strafrecht

Im Musterland der Strafjustiz II

In dem Artikel Musterland der Strafjustiz vor zwei Jahren hatte ich über auffällig lang dauernde Strafverfahren berichtet, alle aus dem badischen Landesteil. Eines ist nun heute mit einem Freispruch durch das Landgericht Karlsruhe abgeschlossen worden. Der Schuldspruch des Amtsgerichts Bruchsal aus dem Jahre 2008 wegen Straßenverkehrsgefährdung und Nötigung wurde aufgehoben. Tatzeitpunkt war der 26.05.2007, also vor beinahe fünf Jahren.  Die Berufungskammer saß seit Herbst 2008 auf der Akte.
Vielleicht sollte man bei den Verjährungsregeln etwas ändern. Und die Frist, nachdem die erstinstanzliche Entscheidung ergangen ist, einfach halbieren. Das hülfe!

Abgehörte Selbstgespräche unverwertbar

Der 2. Senat hat am 22.12.11 entschieden, dass wegen des verfassungsrangigen allgemeinen Persönlichkeitsrechts richterlich angeordnete Aufzeichnungen „echter“ Selbstgespräche, die also nicht kommunikative Funktion haben, -gleich den „freien Gedanken“- auch in Fällen von Schwerstkriminalität unverwertbar sind (2 StR 509/10).

Frankfurt nur noch mit grüner Plakette

Seit gestern ist Frankfurt, neben Leipzig und einigen „Städten“, vornehmlich im deutschen Süd-Westen, deren Namen man jetzt erstmals zur Kenntnis nimmt, nur noch mit grüner Umweltplakette befahrbar. Über die bußgeldrechtlichen Folgen bei Verstoß hatte ich hier und hier schon hingewiesen (zusammenfassend: wer zahlt und den Punkt in Flensburg hinnimmt, ist selber schuld).
Wenn ich an den Mercedes denke, den ich 2002 als Neuwagen für rd. 47 T€ gekauft hatte, einen Diesel, der sicher immer noch tadellos seinen Dienst täte, wenn nicht auch er der Plakettenverordnung zum Opfer gefallen wäre, dann kommt mir das Grausen. Er hatte nur eine gelbe Plakette. Ausgesperrt in Frankfurt. Ein gerade einmal neun Jahre alter Wagen Marke „Premium“. Wie fehlgeleitet muß Politik sein, die so etwas verordnet.  Und wie  unverbesserlich untertänig die Bürger, die sich so kalt enteignen lassen.
Daher: rein nach Frankfurt, auch ohne die grüne Plakette! Das ist unsere Art zu protestieren.

Dritter Berufsrichter in der Großen Strafkammer

Drei Berufsrichter in der erstinstanzlichen Strafkammer gab’s nach § 76 II GVG bisher außer im Schwurgericht in Fällen besonderen Umfangs oder besonderer Schwierigkeit. Durch die jetzt im BGBl. 2011, 2554 veröffentlichte Neuregelung von § 76 GVG treten neben das Schwurgericht nun die Fälle, in denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung oder der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist sowie als Regelfall für die Fälle besonderer Schwierigkeit oder Umfangs diejenigen der Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer. Ein solcher Fall ist regelmäßig auch dann gegeben, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als 10 Tage dauern wird.

Weihnachtsfeier und Oberbürgermeister – Fahrerflucht, Falsche Verdächtigung, Strafvereitelung?

Die Dienstreise nach Gera gibt Gelegenheit zum Blick in die heutige Ostthüringer Zeitung. Da geht’s um die Gegenanzeige des Geraer Oberbürgermeisters wegen Falscher Verdächtigung. Denn der von ihm so angezeigte hatte seinerseits diesen wegen Unerlaubten Entfernens vom Unfallort angezeigt. Wollt‘ schon weiterblättern, weil: wen interessiert’s? Interessant wurde es aber doch noch. Es habe sich nämlich um einen (angeblichen) Parkrempler zu nächtlicher Stunde nach einer vom Oberbürgermeister besuchten Weihnachtsfeier gehandelt. Nachtigall, ick hör‘ dir trapsen! Die noch nächtens beim Oberbürgermeister angerückte Polizei wird sicher das Nötige veranlasst haben. Weiterlesen

Die Karikatur des Zeugenbeistands

Anwälte machen in dieser Rolle auffallend oft keine gute Figur. Der Antrag auf entsprechende Beiordnung ist schnell gestellt und im vorliegenden Fall auch vom Amtsgericht Bensheim positiv beschieden worden. Der Zeuge hatte schon im Ermittlungsverfahren Aussagen gemacht, die denen der Zeugin, die er „die Geschädigte“ nannte, deutlich zuwider liefen. Sie war die Kassiererin, die er zusammmen  mit einem Dritten, maskiert und bewaffner, überfallen hatte. Weiterlesen

Die einen läßt man laufen, die anderen hängt man

Der Angeschuldigte hatte eine vorfahrtsberechtigt Radfahrerin über den Haufen gefahren. Sie war verletzt, wenn auch nicht allzu stark. Danach fuhr der Angeschuldigte weiter. Mühsam, aber doch irgendwie kam man ihm „auf die Schliche“. Er ist dreifach einschlägig wegen Verkehrsdelikten in den letzten Jahren vorbestraft, davon zwei Mal wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Registerauszug ist Aktenbestandteil.
Was also macht die StA Darmstadt in einem solchen Fall? Sie schlägt gnadenlos zu! Die Fahrerflucht nach § 154a StPO im Hinblick auf die fahrlässige Körperverletzung eingestellt und derentwegen einen Strafbefehl (20 Tagessätze ‚a 30 €) beantragt. Kein Fahrverbot und schon gar keine Entziehung der Fahrerlaubnis. Das Amtsgericht Bensheim hat den Strafbefehl am 21.11.11 auch so erlassen.
Demgegenüber heute Verhandlung gehabt wegen folgenloser Trunkenheitsfahrt (0,68 Promille); Ersttäter;  Ausfallerscheinungen: Schlangenlinie (Angeklagter legt Einzelverbindungsnachweis seines Handys für die Fahrtzeit vor, wonach er während der Fahrt telefoniert hatte. Das Handy hatte er, weil es geklingelt hatte, etwas mühsam aus einer Jackentasche herausfummeln müssen. Deshalb Schlangenlinien. Nach vorläufigem Entzug der Fahrerlaubnis sich einer Verkehrstherapie (IVT-Hö) unterzogen. Daher sowohl Fahruntüchtigkeit als auch Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen fraglich. Ergebnis: Verurteilung wegen Trunkenheitsfahrt und Entziehung der Fahrerlaubnis.
Es ist zum Haare raufen.

2. Strafsenat – allgemein schwieriges Klima

Im Falle der Konkurrentenklage des  Richters am BGH Thomas Fischer um die Besetzung der Stelle des Vorsitzenden des 2. Strafsenates hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 24.10.2011 im Wege der einstweiligen Anordnung der Bundesrepublik Deutschland die Besetzung der Stelle vorläufig untersagt. In dem Beschluss werden die Gründe erörtert, weswegen Fischer jedenfalls zunächst nicht zum Zuge kam (in der letzten Zeit seien drei Richter aus diesem Senat ausgeschieden, weil sie mit Fischer nicht zurecht gekommen waren und im 2. Senat herrsche ein „allgemein schwieriges Klima“).

Aussageerzwingung durch Drohung mit Hauptverhandlung?

Die Staatsanwaltschaft schreibt in Verkehrsstrafsachen dem Beschuldigten, dass ein Strafbefehlsverfahren beabsichtigt sei. Dann bleibt „Ihnen eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht erspart“, heißt es in dem Schreiben. Allerdings müsse man erst einmal die nachfolgenden Fragen beantworten, nämlich nach dem eigenen Einkommen und dem des Ehegatten, nach sonstigen Einnahmen, Schulden und Unterhaltsverpflichtungen.
Sollten die Fragen nicht innerhalb von zwei Wochen beantwortet werden, „werde ich Anklage erheben und beantragen, eine Hauptverhandlung gegen Sie durchzuführen“, so lautet der Schlusssatz.
Dem Verfasser dürfte bekannt sein, dass seine Erkenntnismöglichkeiten nicht alleine durch die Durchführung einer Hauptverhandlung wachsen. Die Drohung damit wird daher zur Erlangung von Angaben instrumentalisiert, deren Preisgabe indes (nemo tenetur) dem Beschuldigten freisteht.
Dass dergleichen mündlich und hinter vorgehaltener Hand gelegentlich vorkommt, daran hat man sich gewöhnt. Die Dreistigkeit (und Dummheit) so etwas auf dem Briefbogen der Staatsanwaltschaft Darmstadt aus dem Hause zu geben, die überrascht dann doch.